Die Leute auf dem Lande sind ausnehmend mäßig, und leben schlecht.1772. August. Sie nähren sich mehrentheils nur von Brod und Zwiebeln oder anderm Wur- zelwerk und etwas Fleisch. So elend sie sich aber auch behelfen müssen, so essen sie doch nicht leicht Eingeweide oder sonst andern Abgang von Fleisch, weil die ärmsten Bettler Caldaunen-Schlucker bey ihnen genannt werden. Ihr ge- wöhnlicher Trunk ist Wasser, oder auch (Lurike) ein dünnes Getränk, welches sie aus Weinträbern und Wasser zubereiten, und durch die Gährung etwas scharf und säuerlich werden lassen; es kann aber nicht lange aufbewahrt werden. Der Wein selbst, der diese Insel so berühmt gemacht hat, und der ihrer Hände Arbeit ist, kommt selten vor ihren Mund. Ihre Hauptbeschäftigung ist Wein- bau; da solcher aber den größten Theil des Jahrs keiner Wartung bedarf, so könn- nen sie sich ihrer Neigung zum Müßiggang, welche in warmen und fruchtbaren Ländern so natürlich ist, desto eher überlassen. Die portugiesische Regierung scheint bis jetzo noch nicht die besten Mittel dagegen ergriffen zu haben: Zwar ist neuerlich Befehl ergangen, daß Oelbäume angepflanzt werden sollen, wo der Boden für den Weinwachs zu trocken und unfruchtbar ist; aber noch ist man nicht bedacht gewesen, den Landmann fürs erste unter die Arme zu greifen, oder Be- lohnungen zu versprechen, die ihn geneigt zu Neuerungen und willig zur Arbeit machen könnten.
Die Weinberge werden Pachtweise und immer nur auf ein Jahr lang ausgethan. Die Pächter bekommen vier Zehntheile vom Gewächs; vier andre Zehntheile müssen dem Grundherrn, ein Zehntheil an den König und einer an die Geistlichkeit entrichtet werden. Ein so geringer Gewinn und die Aussicht, daß sie mehr für andre als für sich selbst arbeiten, muß natürlicherweise Muth und Hofnung niederschlagen. Dennoch sind sie bey aller Unterdrückung lustig und ver- gnügt, singen bey der Arbeit und versammlen sich des Abends, um nach dem Schall einer einschläfernden Guitarre zu tanzen und zu springen.
Die Einwohner der Städte sind noch häßlicher als die Landleute, und dabey oft blaß und mager. Die Männer gehen französisch und mehrentheils schwarz gekleidet; aber gemeiniglich passen die Kleider nicht, und scheinen we- nigstens seit funfzig Jahren schon aus der Mode gewesen zu seyn. Die Damen sind feiner und angenehm gebildet; aber die Eifersucht, welche den Männern
Forsters Reise um die Welt, erster Th. C
in den Jahren 1772 bis 1775.
Die Leute auf dem Lande ſind ausnehmend maͤßig, und leben ſchlecht.1772. Auguſt. Sie naͤhren ſich mehrentheils nur von Brod und Zwiebeln oder anderm Wur- zelwerk und etwas Fleiſch. So elend ſie ſich aber auch behelfen muͤſſen, ſo eſſen ſie doch nicht leicht Eingeweide oder ſonſt andern Abgang von Fleiſch, weil die aͤrmſten Bettler Caldaunen-Schlucker bey ihnen genannt werden. Ihr ge- woͤhnlicher Trunk iſt Waſſer, oder auch (Lurike) ein duͤnnes Getraͤnk, welches ſie aus Weintraͤbern und Waſſer zubereiten, und durch die Gaͤhrung etwas ſcharf und ſaͤuerlich werden laſſen; es kann aber nicht lange aufbewahrt werden. Der Wein ſelbſt, der dieſe Inſel ſo beruͤhmt gemacht hat, und der ihrer Haͤnde Arbeit iſt, kommt ſelten vor ihren Mund. Ihre Hauptbeſchaͤftigung iſt Wein- bau; da ſolcher aber den groͤßten Theil des Jahrs keiner Wartung bedarf, ſo koͤnn- nen ſie ſich ihrer Neigung zum Muͤßiggang, welche in warmen und fruchtbaren Laͤndern ſo natuͤrlich iſt, deſto eher uͤberlaſſen. Die portugieſiſche Regierung ſcheint bis jetzo noch nicht die beſten Mittel dagegen ergriffen zu haben: Zwar iſt neuerlich Befehl ergangen, daß Oelbaͤume angepflanzt werden ſollen, wo der Boden fuͤr den Weinwachs zu trocken und unfruchtbar iſt; aber noch iſt man nicht bedacht geweſen, den Landmann fuͤrs erſte unter die Arme zu greifen, oder Be- lohnungen zu verſprechen, die ihn geneigt zu Neuerungen und willig zur Arbeit machen koͤnnten.
Die Weinberge werden Pachtweiſe und immer nur auf ein Jahr lang ausgethan. Die Paͤchter bekommen vier Zehntheile vom Gewaͤchs; vier andre Zehntheile muͤſſen dem Grundherrn, ein Zehntheil an den Koͤnig und einer an die Geiſtlichkeit entrichtet werden. Ein ſo geringer Gewinn und die Ausſicht, daß ſie mehr fuͤr andre als fuͤr ſich ſelbſt arbeiten, muß natuͤrlicherweiſe Muth und Hofnung niederſchlagen. Dennoch ſind ſie bey aller Unterdruͤckung luſtig und ver- gnuͤgt, ſingen bey der Arbeit und verſammlen ſich des Abends, um nach dem Schall einer einſchlaͤfernden Guitarre zu tanzen und zu ſpringen.
Die Einwohner der Staͤdte ſind noch haͤßlicher als die Landleute, und dabey oft blaß und mager. Die Maͤnner gehen franzoͤſiſch und mehrentheils ſchwarz gekleidet; aber gemeiniglich paſſen die Kleider nicht, und ſcheinen we- nigſtens ſeit funfzig Jahren ſchon aus der Mode geweſen zu ſeyn. Die Damen ſind feiner und angenehm gebildet; aber die Eiferſucht, welche den Maͤnnern
Forſters Reiſe um die Welt, erſter Th. C
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Die Leute auf dem Lande ſind ausnehmend maͤßig, und leben ſchlecht.
Sie naͤhren ſich mehrentheils nur von Brod und Zwiebeln oder anderm Wur-
zelwerk und etwas Fleiſch. So elend ſie ſich aber auch behelfen muͤſſen, ſo eſſen
ſie doch nicht leicht Eingeweide oder ſonſt andern Abgang von Fleiſch, weil die
aͤrmſten Bettler Caldaunen-Schlucker bey ihnen genannt werden. Ihr ge-
woͤhnlicher Trunk iſt Waſſer, oder auch (Lurike) ein duͤnnes Getraͤnk, welches
ſie aus Weintraͤbern und Waſſer zubereiten, und durch die Gaͤhrung etwas
ſcharf und ſaͤuerlich werden laſſen; es kann aber nicht lange aufbewahrt werden.
Der Wein ſelbſt, der dieſe Inſel ſo beruͤhmt gemacht hat, und der ihrer Haͤnde
Arbeit iſt, kommt ſelten vor ihren Mund. Ihre Hauptbeſchaͤftigung iſt Wein-
bau; da ſolcher aber den groͤßten Theil des Jahrs keiner Wartung bedarf, ſo koͤnn-
nen ſie ſich ihrer Neigung zum Muͤßiggang, welche in warmen und fruchtbaren
Laͤndern ſo natuͤrlich iſt, deſto eher uͤberlaſſen. Die portugieſiſche Regierung
ſcheint bis jetzo noch nicht die beſten Mittel dagegen ergriffen zu haben: Zwar
iſt neuerlich Befehl ergangen, daß Oelbaͤume angepflanzt werden ſollen, wo der
Boden fuͤr den Weinwachs zu trocken und unfruchtbar iſt; aber noch iſt man nicht
bedacht geweſen, den Landmann fuͤrs erſte unter die Arme zu greifen, oder Be-
lohnungen zu verſprechen, die ihn geneigt zu Neuerungen und willig zur Arbeit
machen koͤnnten.
1772.
Auguſt.
Die Weinberge werden Pachtweiſe und immer nur auf ein Jahr lang
ausgethan. Die Paͤchter bekommen vier Zehntheile vom Gewaͤchs; vier andre
Zehntheile muͤſſen dem Grundherrn, ein Zehntheil an den Koͤnig und einer an
die Geiſtlichkeit entrichtet werden. Ein ſo geringer Gewinn und die Ausſicht,
daß ſie mehr fuͤr andre als fuͤr ſich ſelbſt arbeiten, muß natuͤrlicherweiſe Muth und
Hofnung niederſchlagen. Dennoch ſind ſie bey aller Unterdruͤckung luſtig und ver-
gnuͤgt, ſingen bey der Arbeit und verſammlen ſich des Abends, um nach dem
Schall einer einſchlaͤfernden Guitarre zu tanzen und zu ſpringen.
Die Einwohner der Staͤdte ſind noch haͤßlicher als die Landleute, und
dabey oft blaß und mager. Die Maͤnner gehen franzoͤſiſch und mehrentheils
ſchwarz gekleidet; aber gemeiniglich paſſen die Kleider nicht, und ſcheinen we-
nigſtens ſeit funfzig Jahren ſchon aus der Mode geweſen zu ſeyn. Die Damen
ſind feiner und angenehm gebildet; aber die Eiferſucht, welche den Maͤnnern
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/62>, abgerufen am 26.11.2024.
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