1774. Januar.so öftere und schleunige Veränderung des Clima der Gesundheit seyn mußte, brauche ich wohl kaum zu sagen.
Am 15ten ward der Wind stärker und verwandelte sich bald darauf in einen heftigen Sturm
which took the ruffian billows by the top Curling their monstruous heads and hanging them With deafning clamours in the slippery shrouds. Shakespear.
Während desselben schlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mit- ten übers Schiff und füllte die Verdecke mit einer Sündfluth von Wasser. Es stürzte durch alle Oeffnungen über uns herein, löschte die Lichter aus und ließ uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht, ganz überschwemmt, schon zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajütte floß alles; sogar sein Bette war durchaus naß; unter solchen Umständen mußte der Rhevmatismus frey- lich heftiger werden, an dem er seit vierzehn Tagen die größten Schmerzen ausstand, so daß er kein Glied am Leibe rühren konnte. Unsre Lage war nun- mehro in der That höchst elend, selbst für diejenigen die noch gesund waren, und den Kranken, die an ihren gelähmten Gliedern beständige Schmerzen litten, war sie im eigentlichsten Verstande unerträglich. Der Ocean um uns her war wütend, und schien über die Keckheit einer Hand voll Menschen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erboßt zu seyn. Finstre Melancholie zeigte sich auf der Stirn unsrer Rei- segefährten, und im ganzen Schiff herrschte eine fürchterliche Stille. Die ein- gesalznen Speisen, unsre tägliche Kost, waren uns allen, sogar denen zum Ekel geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Essens war uns verhaßt, denn der Geruch der Speisen, kam uns nicht sobald unter die Nase, als wirs schon unmöglich fanden, mit einigen Appetit davon zu genüssen. Dies alles beweiset wohl genugsam, daß diese Reise mit keiner von den vorher- gehenden zu vergleichen sey. Wir hatten mit einer Menge von Mühseligkeiten und Gefahren zu kämpfen, die unsern Vorgängern in der Südsee unbekannt ge- blieben waren, weil sie sich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder doch wenigstens in den besten Gegenden des gemäßigten Himmelsstrichs gehalten
hatten.
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Januar.ſo oͤftere und ſchleunige Veraͤnderung des Clima der Geſundheit ſeyn mußte, brauche ich wohl kaum zu ſagen.
Am 15ten ward der Wind ſtaͤrker und verwandelte ſich bald darauf in einen heftigen Sturm
which took the ruffian billows by the top Curling their monſtruous heads and hanging them With deafning clamours in the ſlippery ſhrouds. Shakespear.
Waͤhrend deſſelben ſchlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mit- ten uͤbers Schiff und fuͤllte die Verdecke mit einer Suͤndfluth von Waſſer. Es ſtuͤrzte durch alle Oeffnungen uͤber uns herein, loͤſchte die Lichter aus und ließ uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht, ganz uͤberſchwemmt, ſchon zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajuͤtte floß alles; ſogar ſein Bette war durchaus naß; unter ſolchen Umſtaͤnden mußte der Rhevmatiſmus frey- lich heftiger werden, an dem er ſeit vierzehn Tagen die groͤßten Schmerzen ausſtand, ſo daß er kein Glied am Leibe ruͤhren konnte. Unſre Lage war nun- mehro in der That hoͤchſt elend, ſelbſt fuͤr diejenigen die noch geſund waren, und den Kranken, die an ihren gelaͤhmten Gliedern beſtaͤndige Schmerzen litten, war ſie im eigentlichſten Verſtande unertraͤglich. Der Ocean um uns her war wuͤtend, und ſchien uͤber die Keckheit einer Hand voll Menſchen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erboßt zu ſeyn. Finſtre Melancholie zeigte ſich auf der Stirn unſrer Rei- ſegefaͤhrten, und im ganzen Schiff herrſchte eine fuͤrchterliche Stille. Die ein- geſalznen Speiſen, unſre taͤgliche Koſt, waren uns allen, ſogar denen zum Ekel geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Eſſens war uns verhaßt, denn der Geruch der Speiſen, kam uns nicht ſobald unter die Naſe, als wirs ſchon unmoͤglich fanden, mit einigen Appetit davon zu genuͤſſen. Dies alles beweiſet wohl genugſam, daß dieſe Reiſe mit keiner von den vorher- gehenden zu vergleichen ſey. Wir hatten mit einer Menge von Muͤhſeligkeiten und Gefahren zu kaͤmpfen, die unſern Vorgaͤngern in der Suͤdſee unbekannt ge- blieben waren, weil ſie ſich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder doch wenigſtens in den beſten Gegenden des gemaͤßigten Himmelsſtrichs gehalten
hatten.
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Forſter’s Reiſe um die Welt
ſo oͤftere und ſchleunige Veraͤnderung des Clima der Geſundheit ſeyn mußte,
brauche ich wohl kaum zu ſagen.
1774.
Januar.
Am 15ten ward der Wind ſtaͤrker und verwandelte ſich bald darauf in
einen heftigen Sturm
which took the ruffian billows by the top
Curling their monſtruous heads and hanging them
With deafning clamours in the ſlippery ſhrouds.
Shakespear.
Waͤhrend deſſelben ſchlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mit-
ten uͤbers Schiff und fuͤllte die Verdecke mit einer Suͤndfluth von Waſſer. Es
ſtuͤrzte durch alle Oeffnungen uͤber uns herein, loͤſchte die Lichter aus und ließ
uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht, ganz uͤberſchwemmt, ſchon
zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajuͤtte floß alles; ſogar ſein Bette
war durchaus naß; unter ſolchen Umſtaͤnden mußte der Rhevmatiſmus frey-
lich heftiger werden, an dem er ſeit vierzehn Tagen die groͤßten Schmerzen
ausſtand, ſo daß er kein Glied am Leibe ruͤhren konnte. Unſre Lage war nun-
mehro in der That hoͤchſt elend, ſelbſt fuͤr diejenigen die noch geſund waren, und
den Kranken, die an ihren gelaͤhmten Gliedern beſtaͤndige Schmerzen litten, war
ſie im eigentlichſten Verſtande unertraͤglich. Der Ocean um uns her war wuͤtend,
und ſchien uͤber die Keckheit einer Hand voll Menſchen, die es mit ihm aufnahmen,
ganz erboßt zu ſeyn. Finſtre Melancholie zeigte ſich auf der Stirn unſrer Rei-
ſegefaͤhrten, und im ganzen Schiff herrſchte eine fuͤrchterliche Stille. Die ein-
geſalznen Speiſen, unſre taͤgliche Koſt, waren uns allen, ſogar denen zum Ekel
geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Eſſens
war uns verhaßt, denn der Geruch der Speiſen, kam uns nicht ſobald unter
die Naſe, als wirs ſchon unmoͤglich fanden, mit einigen Appetit davon zu genuͤſſen.
Dies alles beweiſet wohl genugſam, daß dieſe Reiſe mit keiner von den vorher-
gehenden zu vergleichen ſey. Wir hatten mit einer Menge von Muͤhſeligkeiten
und Gefahren zu kaͤmpfen, die unſern Vorgaͤngern in der Suͤdſee unbekannt ge-
blieben waren, weil ſie ſich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder
doch wenigſtens in den beſten Gegenden des gemaͤßigten Himmelsſtrichs gehalten
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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