Der Wind, mit welchem wir absegelten, war so schwach, daß wir die Insel den ganzen Abend hindurch noch nahe im Gesicht behielten, und die überschwenglich schöne Aussicht auf die Ebene vor uns hatten, welche, selbst bey dieser todten Winter-Jahrszeit, den schönsten Landschaften in andern Gegenden der Welt noch immer zur Seite gesetzt werden konnte. Der fruchtbare Boden und das wohlthätige Clima bringen von selbst so vielerley Arten nahrhaf- ter Gewächse hervor, daß die Einwohner in dieser Absicht wohl auf eine ungestörte sorgenfreye Glückseligkeit rechnen können ja, in so fern unterm Monde nirgends etwas vollkommnes, sondern Glückseligkeit immer nur ein relativer Begriff ist, in so fern, dürften, im Ganzen genommen, schwerlich mehrere Völker der Er- den sich einer so erwünschten Lage rühmen können! Da nun alle Lebensmittel leicht zu haben, und die Bedürfnisse dieses Volks sehr eingeschränkt sind, so ist, natür- licherweise, auch der große Endzweck unseres cörperlichen Daseyns, die Her- vorbringung vernünftiger Creaturen, hier nicht mit so vielen drückenden La- sten überhäuft und beschweret, als in civilisirtern Ländern, wo Noth und Kummer den Ehestand oft so mühselig und sauer machen. Die guten Leute fol- gen hier dem Triebe der Natur ganz ohngehindert, und daraus entsteht eine Bevölkerung, die in Verhältniß zu dem angebauten, nur kleinen Theile der Insel sehr groß ist. Bis jetzt sind nur allein die Ebenen und die Thäler be- wohnt, obgleich, der Beschaffenheit des Erdreichs nach, auch viele von den Bergen angebauet werden, und noch eine ungeheure Menge von Einwohnern er- nähren könnten. Sollte also die Bevölkerung in langer Zeit durch nichts gestört werden, so dürften die Einwohner auch wohl jene Gegenden zu bauen anfangen, die gegenwärtig ganz ungenutzt, und so zu sagen, überflüßig sind. Das Volk lebt in einer Verfassung, die sich gewissermaßen mit dem alten eu- ropäischen Feudal-System vergleichen läßt; es stehet nemlich unter einem allge- meinen Oberherrn und ist in die drey Classen von Erihs, Manahaunä's und Tautaus getheilt. Ohngeachtet zwischen diesen dreyen Classen ein wesentlicher Unterschied vorhanden ist; so wird die Glückseligkeit des Volks, im Ganzen ge- nommen, doch ungleich weniger dadurch beeinträchtiget als man glauben sollte, denn die Lebensart der Nation ist überhaupt zu einfach, als daß die Verschie- denheit des Standes einen merklichen Unterschied in selbiger zulassen könnte.
Forſter’s Reiſe um die Welt
1773. Septem- ber.
Der Wind, mit welchem wir abſegelten, war ſo ſchwach, daß wir die Inſel den ganzen Abend hindurch noch nahe im Geſicht behielten, und die uͤberſchwenglich ſchoͤne Ausſicht auf die Ebene vor uns hatten, welche, ſelbſt bey dieſer todten Winter-Jahrszeit, den ſchoͤnſten Landſchaften in andern Gegenden der Welt noch immer zur Seite geſetzt werden konnte. Der fruchtbare Boden und das wohlthaͤtige Clima bringen von ſelbſt ſo vielerley Arten nahrhaf- ter Gewaͤchſe hervor, daß die Einwohner in dieſer Abſicht wohl auf eine ungeſtoͤrte ſorgenfreye Gluͤckſeligkeit rechnen koͤnnen ja, in ſo fern unterm Monde nirgends etwas vollkommnes, ſondern Gluͤckſeligkeit immer nur ein relativer Begriff iſt, in ſo fern, duͤrften, im Ganzen genommen, ſchwerlich mehrere Voͤlker der Er- den ſich einer ſo erwuͤnſchten Lage ruͤhmen koͤnnen! Da nun alle Lebensmittel leicht zu haben, und die Beduͤrfniſſe dieſes Volks ſehr eingeſchraͤnkt ſind, ſo iſt, natuͤr- licherweiſe, auch der große Endzweck unſeres coͤrperlichen Daſeyns, die Her- vorbringung vernuͤnftiger Creaturen, hier nicht mit ſo vielen druͤckenden La- ſten uͤberhaͤuft und beſchweret, als in civiliſirtern Laͤndern, wo Noth und Kummer den Eheſtand oft ſo muͤhſelig und ſauer machen. Die guten Leute fol- gen hier dem Triebe der Natur ganz ohngehindert, und daraus entſteht eine Bevoͤlkerung, die in Verhaͤltniß zu dem angebauten, nur kleinen Theile der Inſel ſehr groß iſt. Bis jetzt ſind nur allein die Ebenen und die Thaͤler be- wohnt, obgleich, der Beſchaffenheit des Erdreichs nach, auch viele von den Bergen angebauet werden, und noch eine ungeheure Menge von Einwohnern er- naͤhren koͤnnten. Sollte alſo die Bevoͤlkerung in langer Zeit durch nichts geſtoͤrt werden, ſo duͤrften die Einwohner auch wohl jene Gegenden zu bauen anfangen, die gegenwaͤrtig ganz ungenutzt, und ſo zu ſagen, uͤberfluͤßig ſind. Das Volk lebt in einer Verfaſſung, die ſich gewiſſermaßen mit dem alten eu- ropaͤiſchen Feudal-Syſtem vergleichen laͤßt; es ſtehet nemlich unter einem allge- meinen Oberherrn und iſt in die drey Claſſen von Erihs, Manahaunaͤ’s und Tautaus getheilt. Ohngeachtet zwiſchen dieſen dreyen Claſſen ein weſentlicher Unterſchied vorhanden iſt; ſo wird die Gluͤckſeligkeit des Volks, im Ganzen ge- nommen, doch ungleich weniger dadurch beeintraͤchtiget als man glauben ſollte, denn die Lebensart der Nation iſt uͤberhaupt zu einfach, als daß die Verſchie- denheit des Standes einen merklichen Unterſchied in ſelbiger zulaſſen koͤnnte.
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Der Wind, mit welchem wir abſegelten, war ſo ſchwach, daß wir
die Inſel den ganzen Abend hindurch noch nahe im Geſicht behielten, und
die uͤberſchwenglich ſchoͤne Ausſicht auf die Ebene vor uns hatten, welche,
ſelbſt bey dieſer todten Winter-Jahrszeit, den ſchoͤnſten Landſchaften in andern
Gegenden der Welt noch immer zur Seite geſetzt werden konnte. Der fruchtbare
Boden und das wohlthaͤtige Clima bringen von ſelbſt ſo vielerley Arten nahrhaf-
ter Gewaͤchſe hervor, daß die Einwohner in dieſer Abſicht wohl auf eine ungeſtoͤrte
ſorgenfreye Gluͤckſeligkeit rechnen koͤnnen ja, in ſo fern unterm Monde nirgends
etwas vollkommnes, ſondern Gluͤckſeligkeit immer nur ein relativer Begriff iſt,
in ſo fern, duͤrften, im Ganzen genommen, ſchwerlich mehrere Voͤlker der Er-
den ſich einer ſo erwuͤnſchten Lage ruͤhmen koͤnnen! Da nun alle Lebensmittel leicht
zu haben, und die Beduͤrfniſſe dieſes Volks ſehr eingeſchraͤnkt ſind, ſo iſt, natuͤr-
licherweiſe, auch der große Endzweck unſeres coͤrperlichen Daſeyns, die Her-
vorbringung vernuͤnftiger Creaturen, hier nicht mit ſo vielen druͤckenden La-
ſten uͤberhaͤuft und beſchweret, als in civiliſirtern Laͤndern, wo Noth und
Kummer den Eheſtand oft ſo muͤhſelig und ſauer machen. Die guten Leute fol-
gen hier dem Triebe der Natur ganz ohngehindert, und daraus entſteht eine
Bevoͤlkerung, die in Verhaͤltniß zu dem angebauten, nur kleinen Theile der
Inſel ſehr groß iſt. Bis jetzt ſind nur allein die Ebenen und die Thaͤler be-
wohnt, obgleich, der Beſchaffenheit des Erdreichs nach, auch viele von den
Bergen angebauet werden, und noch eine ungeheure Menge von Einwohnern er-
naͤhren koͤnnten. Sollte alſo die Bevoͤlkerung in langer Zeit durch nichts geſtoͤrt
werden, ſo duͤrften die Einwohner auch wohl jene Gegenden zu bauen
anfangen, die gegenwaͤrtig ganz ungenutzt, und ſo zu ſagen, uͤberfluͤßig ſind.
Das Volk lebt in einer Verfaſſung, die ſich gewiſſermaßen mit dem alten eu-
ropaͤiſchen Feudal-Syſtem vergleichen laͤßt; es ſtehet nemlich unter einem allge-
meinen Oberherrn und iſt in die drey Claſſen von Erihs, Manahaunaͤ’s und
Tautaus getheilt. Ohngeachtet zwiſchen dieſen dreyen Claſſen ein weſentlicher
Unterſchied vorhanden iſt; ſo wird die Gluͤckſeligkeit des Volks, im Ganzen ge-
nommen, doch ungleich weniger dadurch beeintraͤchtiget als man glauben ſollte,
denn die Lebensart der Nation iſt uͤberhaupt zu einfach, als daß die Verſchie-
denheit des Standes einen merklichen Unterſchied in ſelbiger zulaſſen koͤnnte.
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/331>, abgerufen am 25.11.2024.
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