zwei streitenden Parteien, die sich beide auf ihr, in Vernunft gegründetes Recht be¬ rufen? Wo man nicht überreden kann, braucht man Gewalt; und siehe da! -- der Stärkere behält Recht. Ist die Vernunft also wohl mehr als ein blosser Vorwand? sie nämlich, die sich im einzelnen Menschen, nach dem Maasse von Empfindungskräften, welche Natur und Zeit und Umstände ihm verliehen, so leicht von seinen Leidenschaf¬ ten bestechen oder wenigstens besiegen lässt? Vielleicht dürfte man aber auch eben des¬ wegen mit gutem Fug behaupten, dass in der natürlichen Ungleichheit der Menschen, in Absicht auf Organisation, physisches Kraft¬ maass und Seelenvermögen, und in ihrer, von keines Menschen Willen gänzlich ab¬ hängigen, Verschiedenheit der Ausbildung, welche ganz verschiedene Grade von Lei¬ denschaft und alle die unendlich nüancirten
zwei streitenden Parteien, die sich beide auf ihr, in Vernunft gegründetes Recht be¬ rufen? Wo man nicht überreden kann, braucht man Gewalt; und siehe da! — der Stärkere behält Recht. Ist die Vernunft also wohl mehr als ein bloſser Vorwand? sie nämlich, die sich im einzelnen Menschen, nach dem Maaſse von Empfindungskräften, welche Natur und Zeit und Umstände ihm verliehen, so leicht von seinen Leidenschaf¬ ten bestechen oder wenigstens besiegen läſst? Vielleicht dürfte man aber auch eben des¬ wegen mit gutem Fug behaupten, daſs in der natürlichen Ungleichheit der Menschen, in Absicht auf Organisation, physisches Kraft¬ maaſs und Seelenvermögen, und in ihrer, von keines Menschen Willen gänzlich ab¬ hängigen, Verschiedenheit der Ausbildung, welche ganz verschiedene Grade von Lei¬ denschaft und alle die unendlich nüancirten
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zwei streitenden Parteien, die sich beide
auf ihr, in Vernunft gegründetes Recht be¬
rufen? Wo man nicht überreden kann,
braucht man Gewalt; und siehe da! —
der Stärkere behält Recht. Ist die Vernunft
also wohl mehr als ein bloſser Vorwand?
sie nämlich, die sich im einzelnen Menschen,
nach dem Maaſse von Empfindungskräften,
welche Natur und Zeit und Umstände ihm
verliehen, so leicht von seinen Leidenschaf¬
ten bestechen oder wenigstens besiegen läſst?
Vielleicht dürfte man aber auch eben des¬
wegen mit gutem Fug behaupten, daſs in
der natürlichen Ungleichheit der Menschen,
in Absicht auf Organisation, physisches Kraft¬
maaſs und Seelenvermögen, und in ihrer,
von keines Menschen Willen gänzlich ab¬
hängigen, Verschiedenheit der Ausbildung,
welche ganz verschiedene Grade von Lei¬
denschaft und alle die unendlich nüancirten
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Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/368>, abgerufen am 24.11.2024.
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