Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.keine größere, als eine so ganz vollendete Kunst gehörig würdigen und mit Verstand davon reden zu können. Wer das Letztere vermag, muß mit dem Künstler selbst nicht ganz unähnlichen Geistes und Sinnes seyn, hat also gewissermaßen die schmeichelhafte Vermuthung für sich, daß er vielleicht auch das Erstere vermocht haben würde, wenn ähnliche äußere Veranlassungen ihn auf die dazu erforderliche Bahn geführt hätten. Aber ich bin nicht so unbescheiden zu glauben, daß ich je eine solche Ehre erringen könnte. Ich bin vielmehr innigst überzeugt, daß keine Sprache in der Welt reich genug ist, um alles damit auszudrücken, was von dem hohen Werth und von dem erstaunlichen Umfang einer solchen Kunst gesagt werden könnte und müßte. Je genauer man damit bekannt wird; desto höher steigt unsere Bewunderung für sie. All unser Rühmen, Preisen und Bewundern derselben wird stets bloß gutgemeyntes Lallen und Stammeln seyn und bleiben. Wer Gelegenheit gehabt hat, Kunstwerke mehrerer Jahrhunderte mit einander zu vergleichen, wird diese Erklärung nicht übertrieben finden; er wird vielmehr selbst der Meynung geworden seyn, daß man von Bachischen Werken, wenn man sie völlig kennt, nicht anders als mit Entzücken, und von einigen sogar nur mit einer Art von heiliger Anbetung reden könne. Seine Handhabung des innern Kunstmechanismus können wir allenfalls begreifen und erklären; aber wie er es gemacht hat, diesem ebenfalls nur von ihm erreichten so hohen Grad der mechanischen Kunst zugleich den lebendigen Geist einzuhauchen, der uns auch im geringsten seiner Werke so deutlich anspricht, wird wohl stets nur gefühlt und angestaunt werden können. Auf Vergleichungen Joh. Seb. Bachs mit einzelnen Componisten habe ich mich nicht einlassen wollen. Wer ihn mit Händel verglichen sehen will, findet eine von einem vollkommen Sachkundigen Manne verfaßte, sehr gerechte und billige Schätzung ihrer beyderseitigen keine größere, als eine so ganz vollendete Kunst gehörig würdigen und mit Verstand davon reden zu können. Wer das Letztere vermag, muß mit dem Künstler selbst nicht ganz unähnlichen Geistes und Sinnes seyn, hat also gewissermaßen die schmeichelhafte Vermuthung für sich, daß er vielleicht auch das Erstere vermocht haben würde, wenn ähnliche äußere Veranlassungen ihn auf die dazu erforderliche Bahn geführt hätten. Aber ich bin nicht so unbescheiden zu glauben, daß ich je eine solche Ehre erringen könnte. Ich bin vielmehr innigst überzeugt, daß keine Sprache in der Welt reich genug ist, um alles damit auszudrücken, was von dem hohen Werth und von dem erstaunlichen Umfang einer solchen Kunst gesagt werden könnte und müßte. Je genauer man damit bekannt wird; desto höher steigt unsere Bewunderung für sie. All unser Rühmen, Preisen und Bewundern derselben wird stets bloß gutgemeyntes Lallen und Stammeln seyn und bleiben. Wer Gelegenheit gehabt hat, Kunstwerke mehrerer Jahrhunderte mit einander zu vergleichen, wird diese Erklärung nicht übertrieben finden; er wird vielmehr selbst der Meynung geworden seyn, daß man von Bachischen Werken, wenn man sie völlig kennt, nicht anders als mit Entzücken, und von einigen sogar nur mit einer Art von heiliger Anbetung reden könne. Seine Handhabung des innern Kunstmechanismus können wir allenfalls begreifen und erklären; aber wie er es gemacht hat, diesem ebenfalls nur von ihm erreichten so hohen Grad der mechanischen Kunst zugleich den lebendigen Geist einzuhauchen, der uns auch im geringsten seiner Werke so deutlich anspricht, wird wohl stets nur gefühlt und angestaunt werden können. Auf Vergleichungen Joh. Seb. Bachs mit einzelnen Componisten habe ich mich nicht einlassen wollen. Wer ihn mit Händel verglichen sehen will, findet eine von einem vollkommen Sachkundigen Manne verfaßte, sehr gerechte und billige Schätzung ihrer beyderseitigen <TEI> <text> <front> <div type="preface" n="1"> <p><pb facs="#f0009" n="IX"/> keine größere, als eine so ganz vollendete Kunst gehörig würdigen und mit Verstand davon reden zu können. Wer das Letztere vermag, muß mit dem Künstler selbst nicht ganz unähnlichen Geistes und Sinnes seyn, hat also gewissermaßen die schmeichelhafte Vermuthung für sich, daß er vielleicht auch das Erstere vermocht haben würde, wenn ähnliche äußere Veranlassungen ihn auf die dazu erforderliche Bahn geführt hätten. Aber ich bin nicht so unbescheiden zu glauben, daß ich je eine solche Ehre erringen könnte. Ich bin vielmehr innigst überzeugt, daß keine Sprache in der Welt reich genug ist, um alles damit auszudrücken, was von dem hohen Werth und von dem erstaunlichen Umfang einer solchen Kunst gesagt werden könnte und müßte. Je genauer man damit bekannt wird; desto höher steigt unsere Bewunderung für sie. All unser Rühmen, Preisen und Bewundern derselben wird stets bloß gutgemeyntes Lallen und Stammeln seyn und bleiben. Wer Gelegenheit gehabt hat, Kunstwerke mehrerer Jahrhunderte mit einander zu vergleichen, wird diese Erklärung nicht übertrieben finden; er wird vielmehr selbst der Meynung geworden seyn, daß man von Bachischen Werken, wenn man sie völlig kennt, nicht anders als mit Entzücken, und von einigen sogar nur mit einer Art von heiliger Anbetung reden könne. Seine Handhabung des innern Kunstmechanismus können wir allenfalls begreifen und erklären; aber wie er es gemacht hat, diesem ebenfalls nur von ihm erreichten so hohen Grad der mechanischen Kunst zugleich den lebendigen Geist einzuhauchen, der uns auch im geringsten seiner Werke so deutlich anspricht, wird wohl stets nur gefühlt und angestaunt werden können.</p> <p>Auf Vergleichungen <hi rendition="#g">Joh. Seb. Bachs</hi> mit einzelnen Componisten habe ich mich nicht einlassen wollen. Wer ihn mit <hi rendition="#g">Händel</hi> verglichen sehen will, findet eine von einem vollkommen Sachkundigen Manne verfaßte, sehr gerechte und billige Schätzung ihrer beyderseitigen </p> </div> </front> </text> </TEI> [IX/0009]
keine größere, als eine so ganz vollendete Kunst gehörig würdigen und mit Verstand davon reden zu können. Wer das Letztere vermag, muß mit dem Künstler selbst nicht ganz unähnlichen Geistes und Sinnes seyn, hat also gewissermaßen die schmeichelhafte Vermuthung für sich, daß er vielleicht auch das Erstere vermocht haben würde, wenn ähnliche äußere Veranlassungen ihn auf die dazu erforderliche Bahn geführt hätten. Aber ich bin nicht so unbescheiden zu glauben, daß ich je eine solche Ehre erringen könnte. Ich bin vielmehr innigst überzeugt, daß keine Sprache in der Welt reich genug ist, um alles damit auszudrücken, was von dem hohen Werth und von dem erstaunlichen Umfang einer solchen Kunst gesagt werden könnte und müßte. Je genauer man damit bekannt wird; desto höher steigt unsere Bewunderung für sie. All unser Rühmen, Preisen und Bewundern derselben wird stets bloß gutgemeyntes Lallen und Stammeln seyn und bleiben. Wer Gelegenheit gehabt hat, Kunstwerke mehrerer Jahrhunderte mit einander zu vergleichen, wird diese Erklärung nicht übertrieben finden; er wird vielmehr selbst der Meynung geworden seyn, daß man von Bachischen Werken, wenn man sie völlig kennt, nicht anders als mit Entzücken, und von einigen sogar nur mit einer Art von heiliger Anbetung reden könne. Seine Handhabung des innern Kunstmechanismus können wir allenfalls begreifen und erklären; aber wie er es gemacht hat, diesem ebenfalls nur von ihm erreichten so hohen Grad der mechanischen Kunst zugleich den lebendigen Geist einzuhauchen, der uns auch im geringsten seiner Werke so deutlich anspricht, wird wohl stets nur gefühlt und angestaunt werden können.
Auf Vergleichungen Joh. Seb. Bachs mit einzelnen Componisten habe ich mich nicht einlassen wollen. Wer ihn mit Händel verglichen sehen will, findet eine von einem vollkommen Sachkundigen Manne verfaßte, sehr gerechte und billige Schätzung ihrer beyderseitigen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-01-04T13:34:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-04T13:34:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-04T13:34:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |