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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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Fantasie ist einzig und hat nie ihres Gleichen gehabt. Ich erhielt sie zuerst von Wilh. Friedemann aus Braunschweig. Einer seiner und meiner Freunde, der gerne Knittelverse machte, schrieb auf ein beygelegtes Blatt:

Anbey kommt an
Etwas Musik von Sebastian,
Sonst genannt: Fantasia chromatica;
Bleibt schön in alle Saecula.

Sonderbar ist es, daß diese so außerordentlich kunstreiche Arbeit auch auf den allerungeübtesten Zuhörer Eindruck macht, wenn sie nur irgend reinlich vorgetragen wird.

6) Eine Fantasie. (Fig. 3.) Sie ist nicht von der Art der vorhergehenden, sondern wie ein Sonaten-Allegro in 2 Theile getheilt, und muß in einerley Bewegung und Tact vorgetragen werden. Sonst ist sie vortrefflich. In ältern Abschriften findet man eine Fuge angehängt, die aber nicht dazu gehören kann, auch nicht ganz vollendet ist. (Fig. 4.) Daß aber wenigstens die ersten 30 Tacte von Seb. Bach sind, kann nicht bezweifelt werden, denn sie enthält einen äußerst gewagten Versuch, verminderte und vergrößerte Intervalle nebst ihren Umkehrungen in einer 3stimmigen Harmonie zu gebrauchen. So etwas hat außer Bach nie Jemand gewagt. Was nach den ersten 30 Tacten folgt, scheint von einer andern Hand beygefügt zu seyn, denn es trägt kein Merkmahl Sebastianischer Art an sich.

7) Sechs große Suiten, bestehend in Präludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giquen etc. Sie sind unter dem Namen der Englischen Suiten bekannt, weil sie der Componist für einen vornehmen Engländer gemacht hat. (Fig. 5.) Sie sind alle von großem Kunstwerth; aber einige einzelne Stücke derselben, z.B. die Giquen der 5ten und 6ten Suite sind als höchste Meisterstücke origineller Melodie und Harmonie zu betrachten. (Fig. 6. und 7.)

8) Sechs kleine Suiten, bestehend in Allemanden, Couranten etc. Man nennt sie gewöhnlich Französische Suiten, weil sie im Französischen Geschmack geschrieben sind. Seinem Zweck nach ist hier der Componist weniger gelehrt als in seinen andern Suiten, und hat sich meistens einer lieblichen, mehr hervorstechenden Melodie bedient. Insbesondere verdient die 5te Suite in dieser Rücksicht bemerkt zu werden, in welcher

Fantasie ist einzig und hat nie ihres Gleichen gehabt. Ich erhielt sie zuerst von Wilh. Friedemann aus Braunschweig. Einer seiner und meiner Freunde, der gerne Knittelverse machte, schrieb auf ein beygelegtes Blatt:

Anbey kommt an
Etwas Musik von Sebastian,
Sonst genannt: Fantasia chromatica;
Bleibt schön in alle Saecula.

Sonderbar ist es, daß diese so außerordentlich kunstreiche Arbeit auch auf den allerungeübtesten Zuhörer Eindruck macht, wenn sie nur irgend reinlich vorgetragen wird.

6) Eine Fantasie. (Fig. 3.) Sie ist nicht von der Art der vorhergehenden, sondern wie ein Sonaten-Allegro in 2 Theile getheilt, und muß in einerley Bewegung und Tact vorgetragen werden. Sonst ist sie vortrefflich. In ältern Abschriften findet man eine Fuge angehängt, die aber nicht dazu gehören kann, auch nicht ganz vollendet ist. (Fig. 4.) Daß aber wenigstens die ersten 30 Tacte von Seb. Bach sind, kann nicht bezweifelt werden, denn sie enthält einen äußerst gewagten Versuch, verminderte und vergrößerte Intervalle nebst ihren Umkehrungen in einer 3stimmigen Harmonie zu gebrauchen. So etwas hat außer Bach nie Jemand gewagt. Was nach den ersten 30 Tacten folgt, scheint von einer andern Hand beygefügt zu seyn, denn es trägt kein Merkmahl Sebastianischer Art an sich.

7) Sechs große Suiten, bestehend in Präludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giquen etc. Sie sind unter dem Namen der Englischen Suiten bekannt, weil sie der Componist für einen vornehmen Engländer gemacht hat. (Fig. 5.) Sie sind alle von großem Kunstwerth; aber einige einzelne Stücke derselben, z.B. die Giquen der 5ten und 6ten Suite sind als höchste Meisterstücke origineller Melodie und Harmonie zu betrachten. (Fig. 6. und 7.)

8) Sechs kleine Suiten, bestehend in Allemanden, Couranten etc. Man nennt sie gewöhnlich Französische Suiten, weil sie im Französischen Geschmack geschrieben sind. Seinem Zweck nach ist hier der Componist weniger gelehrt als in seinen andern Suiten, und hat sich meistens einer lieblichen, mehr hervorstechenden Melodie bedient. Insbesondere verdient die 5te Suite in dieser Rücksicht bemerkt zu werden, in welcher

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[56/0066] Fantasie ist einzig und hat nie ihres Gleichen gehabt. Ich erhielt sie zuerst von Wilh. Friedemann aus Braunschweig. Einer seiner und meiner Freunde, der gerne Knittelverse machte, schrieb auf ein beygelegtes Blatt: Anbey kommt an Etwas Musik von Sebastian, Sonst genannt: Fantasia chromatica; Bleibt schön in alle Saecula. Sonderbar ist es, daß diese so außerordentlich kunstreiche Arbeit auch auf den allerungeübtesten Zuhörer Eindruck macht, wenn sie nur irgend reinlich vorgetragen wird. 6) Eine Fantasie. (Fig. 3.) Sie ist nicht von der Art der vorhergehenden, sondern wie ein Sonaten-Allegro in 2 Theile getheilt, und muß in einerley Bewegung und Tact vorgetragen werden. Sonst ist sie vortrefflich. In ältern Abschriften findet man eine Fuge angehängt, die aber nicht dazu gehören kann, auch nicht ganz vollendet ist. (Fig. 4.) Daß aber wenigstens die ersten 30 Tacte von Seb. Bach sind, kann nicht bezweifelt werden, denn sie enthält einen äußerst gewagten Versuch, verminderte und vergrößerte Intervalle nebst ihren Umkehrungen in einer 3stimmigen Harmonie zu gebrauchen. So etwas hat außer Bach nie Jemand gewagt. Was nach den ersten 30 Tacten folgt, scheint von einer andern Hand beygefügt zu seyn, denn es trägt kein Merkmahl Sebastianischer Art an sich. 7) Sechs große Suiten, bestehend in Präludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giquen etc. Sie sind unter dem Namen der Englischen Suiten bekannt, weil sie der Componist für einen vornehmen Engländer gemacht hat. (Fig. 5.) Sie sind alle von großem Kunstwerth; aber einige einzelne Stücke derselben, z.B. die Giquen der 5ten und 6ten Suite sind als höchste Meisterstücke origineller Melodie und Harmonie zu betrachten. (Fig. 6. und 7.) 8) Sechs kleine Suiten, bestehend in Allemanden, Couranten etc. Man nennt sie gewöhnlich Französische Suiten, weil sie im Französischen Geschmack geschrieben sind. Seinem Zweck nach ist hier der Componist weniger gelehrt als in seinen andern Suiten, und hat sich meistens einer lieblichen, mehr hervorstechenden Melodie bedient. Insbesondere verdient die 5te Suite in dieser Rücksicht bemerkt zu werden, in welcher

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/66>, abgerufen am 24.11.2024.