Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

die so vortrefflich sind, daß sich selbst sein Meister ihrer nicht geschämt haben würde. Er ist der einzige noch lebende Bachische Schüler.

10) Voigt in Anspach und ein Organist Schubert sind mir von C. Ph. Emanuel noch als Schüler seines Vaters genannt worden. Von beyden wußte er aber nichts näheres zu sagen, als daß sie erst ins väterliche Haus gekommen sind, nachdem er es schon verlassen hatte.

Ich habe oben gesagt, daß Bachs Söhne sich unter seinen Schülern am meisten ausgezeichnet haben. Der älteste, Wilh. Friedemann, kam in der Originalität aller seiner Gedanken seinem Vater am nächsten. Alle seine Melodien sind anders gewendet als die Melodien anderer Componisten, und doch nicht nur äußerst natürlich, sondern zugleich außerordentlich sein und zierlich. Fein vorgetragen, wie er selbst sie vortrug, müssen sie nothwendig jeden Kenner entzücken. Nur Schade, daß er mehr fantasirte und bloß in der Fantasie nach musikalischen Delicatessen grübelte, als schrieb. Die Anzahl seiner schönen Compositionen ist daher nicht groß.

C. Ph. Emanuel folgt zunächst auf ihn. Dieser kam frühe genug in die große Welt, um noch zu rechter Zeit zu bemerken, wie man für ein ausgebreitetes Publikum componiren müsse. Er nähert sich daher an Deutlichkeit und leichter Faßlichkeit seiner Melodien schon etwas dem Populären, bleibt aber noch vollkommen edel. Beyde älteste Söhne gestanden übrigens offenherzig: sie hätten sich nothwendig eine eigene Art von Styl wählen müssen, weil sie ihren Vater in dem seinigen doch nie erreicht haben würden.

Johann Christoph Friedrich, Bückeburgischer Concertmeister, ahmte die Manier Emanuels nach, erreichte seinen Bruder aber nicht. Er soll jedoch nach Wilh. Friedemanns Aussage unter den Brüdern der stärkste Spieler gewesen seyn, und seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen haben.

Johann Christian, der sogenannte Mayländische, nachher Londonsche Bach hatte als jüngster Sohn zweyter Ehe das Glück nicht mehr, seines Vaters Unterricht zu genießen. Der Bachische Originalgeist ist daher in keinem seiner Werke zu finden. Er ist dagegen ein Volkscomponist geworden, der zu seiner Zeit allgemein beliebt war.



die so vortrefflich sind, daß sich selbst sein Meister ihrer nicht geschämt haben würde. Er ist der einzige noch lebende Bachische Schüler.

10) Voigt in Anspach und ein Organist Schubert sind mir von C. Ph. Emanuel noch als Schüler seines Vaters genannt worden. Von beyden wußte er aber nichts näheres zu sagen, als daß sie erst ins väterliche Haus gekommen sind, nachdem er es schon verlassen hatte.

Ich habe oben gesagt, daß Bachs Söhne sich unter seinen Schülern am meisten ausgezeichnet haben. Der älteste, Wilh. Friedemann, kam in der Originalität aller seiner Gedanken seinem Vater am nächsten. Alle seine Melodien sind anders gewendet als die Melodien anderer Componisten, und doch nicht nur äußerst natürlich, sondern zugleich außerordentlich sein und zierlich. Fein vorgetragen, wie er selbst sie vortrug, müssen sie nothwendig jeden Kenner entzücken. Nur Schade, daß er mehr fantasirte und bloß in der Fantasie nach musikalischen Delicatessen grübelte, als schrieb. Die Anzahl seiner schönen Compositionen ist daher nicht groß.

C. Ph. Emanuel folgt zunächst auf ihn. Dieser kam frühe genug in die große Welt, um noch zu rechter Zeit zu bemerken, wie man für ein ausgebreitetes Publikum componiren müsse. Er nähert sich daher an Deutlichkeit und leichter Faßlichkeit seiner Melodien schon etwas dem Populären, bleibt aber noch vollkommen edel. Beyde älteste Söhne gestanden übrigens offenherzig: sie hätten sich nothwendig eine eigene Art von Styl wählen müssen, weil sie ihren Vater in dem seinigen doch nie erreicht haben würden.

Johann Christoph Friedrich, Bückeburgischer Concertmeister, ahmte die Manier Emanuels nach, erreichte seinen Bruder aber nicht. Er soll jedoch nach Wilh. Friedemanns Aussage unter den Brüdern der stärkste Spieler gewesen seyn, und seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen haben.

Johann Christian, der sogenannte Mayländische, nachher Londonsche Bach hatte als jüngster Sohn zweyter Ehe das Glück nicht mehr, seines Vaters Unterricht zu genießen. Der Bachische Originalgeist ist daher in keinem seiner Werke zu finden. Er ist dagegen ein Volkscomponist geworden, der zu seiner Zeit allgemein beliebt war.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="44"/>
die so vortrefflich sind, daß sich selbst sein Meister ihrer nicht geschämt haben würde. Er ist der einzige noch lebende Bachische Schüler.</p>
        <p>10) <hi rendition="#g">Voigt</hi> in Anspach und ein Organist <hi rendition="#g">Schubert</hi> sind mir von <hi rendition="#g">C. Ph. Emanuel</hi> noch als Schüler seines Vaters genannt worden. Von beyden wußte er aber nichts näheres zu sagen, als daß sie erst ins väterliche Haus gekommen sind, nachdem er es schon verlassen hatte.</p>
        <p>Ich habe oben gesagt, daß <hi rendition="#g">Bachs</hi> Söhne sich unter seinen Schülern am meisten ausgezeichnet haben. Der älteste, <hi rendition="#g">Wilh. Friedemann</hi>, kam in der Originalität aller seiner Gedanken seinem Vater am nächsten. Alle seine Melodien sind anders gewendet als die Melodien anderer Componisten, und doch nicht nur äußerst natürlich, sondern zugleich außerordentlich sein und zierlich. Fein vorgetragen, wie er selbst sie vortrug, müssen sie nothwendig jeden Kenner entzücken. Nur Schade, daß er mehr fantasirte und bloß in der Fantasie nach musikalischen Delicatessen grübelte, als schrieb. Die Anzahl seiner schönen Compositionen ist daher nicht groß.</p>
        <p><hi rendition="#g">C. Ph. Emanuel</hi> folgt zunächst auf ihn. Dieser kam frühe genug in die große Welt, um noch zu rechter Zeit zu bemerken, wie man für ein ausgebreitetes Publikum componiren müsse. Er nähert sich daher an Deutlichkeit und leichter Faßlichkeit seiner Melodien schon etwas dem Populären, bleibt aber noch vollkommen edel. Beyde älteste Söhne gestanden übrigens offenherzig: sie hätten sich nothwendig eine eigene Art von Styl wählen müssen, weil sie ihren Vater in dem seinigen doch nie erreicht haben würden.</p>
        <p><hi rendition="#g">Johann Christoph Friedrich</hi>, Bückeburgischer Concertmeister, ahmte die Manier <hi rendition="#g">Emanuels</hi> nach, erreichte seinen Bruder aber nicht. Er soll jedoch nach Wilh. Friedemanns Aussage unter den Brüdern der stärkste Spieler gewesen seyn, und seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen haben.</p>
        <p><hi rendition="#g">Johann Christian</hi>, der sogenannte Mayländische, nachher Londonsche Bach hatte als jüngster Sohn zweyter Ehe das Glück nicht mehr, seines Vaters Unterricht zu genießen. Der Bachische Originalgeist ist daher in keinem seiner Werke zu finden. Er ist dagegen ein Volkscomponist geworden, der zu seiner Zeit allgemein beliebt war.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0054] die so vortrefflich sind, daß sich selbst sein Meister ihrer nicht geschämt haben würde. Er ist der einzige noch lebende Bachische Schüler. 10) Voigt in Anspach und ein Organist Schubert sind mir von C. Ph. Emanuel noch als Schüler seines Vaters genannt worden. Von beyden wußte er aber nichts näheres zu sagen, als daß sie erst ins väterliche Haus gekommen sind, nachdem er es schon verlassen hatte. Ich habe oben gesagt, daß Bachs Söhne sich unter seinen Schülern am meisten ausgezeichnet haben. Der älteste, Wilh. Friedemann, kam in der Originalität aller seiner Gedanken seinem Vater am nächsten. Alle seine Melodien sind anders gewendet als die Melodien anderer Componisten, und doch nicht nur äußerst natürlich, sondern zugleich außerordentlich sein und zierlich. Fein vorgetragen, wie er selbst sie vortrug, müssen sie nothwendig jeden Kenner entzücken. Nur Schade, daß er mehr fantasirte und bloß in der Fantasie nach musikalischen Delicatessen grübelte, als schrieb. Die Anzahl seiner schönen Compositionen ist daher nicht groß. C. Ph. Emanuel folgt zunächst auf ihn. Dieser kam frühe genug in die große Welt, um noch zu rechter Zeit zu bemerken, wie man für ein ausgebreitetes Publikum componiren müsse. Er nähert sich daher an Deutlichkeit und leichter Faßlichkeit seiner Melodien schon etwas dem Populären, bleibt aber noch vollkommen edel. Beyde älteste Söhne gestanden übrigens offenherzig: sie hätten sich nothwendig eine eigene Art von Styl wählen müssen, weil sie ihren Vater in dem seinigen doch nie erreicht haben würden. Johann Christoph Friedrich, Bückeburgischer Concertmeister, ahmte die Manier Emanuels nach, erreichte seinen Bruder aber nicht. Er soll jedoch nach Wilh. Friedemanns Aussage unter den Brüdern der stärkste Spieler gewesen seyn, und seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen haben. Johann Christian, der sogenannte Mayländische, nachher Londonsche Bach hatte als jüngster Sohn zweyter Ehe das Glück nicht mehr, seines Vaters Unterricht zu genießen. Der Bachische Originalgeist ist daher in keinem seiner Werke zu finden. Er ist dagegen ein Volkscomponist geworden, der zu seiner Zeit allgemein beliebt war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T13:34:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:34:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:34:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/54
Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/54>, abgerufen am 22.11.2024.