Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.überließ sie einem geschickten und wohlgerathenen Zachauischen Schüler, mit Namen Kirchhof. Joh. Seb. Bach war nun 32 Jahre alt geworden, hatte seine Zeit bis zu dieser Periode so genutzt, so viel studirt, gespielt und componirt, und durch diesen anhaltenden Fleiß und Eifer eine solche Gewalt über die ganze Kunst erhalten, daß er nun wie ein Riese da stand, und alles um sich her in den Staub treten konnte. Er war schon lange, nicht bloß von Liebhabern, sondern von Kennern bewundert und angestaunt worden, als im Jahr 1717 der ehemahls in Frankreich sehr berühmte Klavierspieler und Organist Marchand nach Dresden kam, sich vor dem Könige hören ließ, und so großen Beyfall erhielt, daß ihm eine ansehnliche Besoldung angeboten wurde, wenn er königliche Dienste nehmen wollte. Marchands Verdienste bestanden hauptsächlich in einem sehr feinen und zierlichen Vortrag. Seine Gedanken waren aber leer und unkräftig, fast nach Couperin's Art, wie man wenigstens aus seinen Compositionen sehen kann. Aber Joh. Seb. Bach hatte den nehmlichen feinen und zierlichen Vortrag, und überdieß noch eine Gedankenfülle, die vielleicht Marchand hätte schwindeln machen können, wenn er sie gehört hätte. Dieß alles wußte Volumier, damahliger Concertmeister zu Dresden. Er kannte die Allgewalt des jungen rüstigen Deutschen über seine Gedanken und über sein Instrument, und wollte zwischen ihm und dem französischen Künstler einen Wettstreit veranlassen, um seinem Fürsten das Vergnügen zu verschaffen, ihren beyderseitigen Werth, aus eigener Vergleichung bestimmen zu können. Es wurde daher mit Vorwissen des Königs ungesäumt eine Botschaft an Joh. Seb. Bach nach Weimar gesandt, um ihn zu diesem musikalischen Wettstreit einzuladen. Die Einladung wurde angenommen, und die Reise unverzüglich angetreten. Nach der Ankunft Bachs in Dresden verschaffte ihm Volumier zuerst die Gelegenheit, Marchand heimlich zu hören. Bach verlor dadurch seinen Muth nicht, sondern lud nun durch ein höfliches Billet den französischen Künstler förmlich zu einem musikalischen Wettstreit ein, erbot sich, alles was Marchand ihm aufgeben würde, aus dem Stegreife auszuführen, erbat sich aber von ihm eine gleiche Bereitwilligkeit. Da Marchand die Ausforderung annahm, so wurde mit Vorwissen des Königs Zeit und Ort des Kampfs bestimmt. Eine große Gesellschaft beyderley Geschlechts und von hohem Range versammelte sich in dem zum Kampfplatz überließ sie einem geschickten und wohlgerathenen Zachauischen Schüler, mit Namen Kirchhof. Joh. Seb. Bach war nun 32 Jahre alt geworden, hatte seine Zeit bis zu dieser Periode so genutzt, so viel studirt, gespielt und componirt, und durch diesen anhaltenden Fleiß und Eifer eine solche Gewalt über die ganze Kunst erhalten, daß er nun wie ein Riese da stand, und alles um sich her in den Staub treten konnte. Er war schon lange, nicht bloß von Liebhabern, sondern von Kennern bewundert und angestaunt worden, als im Jahr 1717 der ehemahls in Frankreich sehr berühmte Klavierspieler und Organist Marchand nach Dresden kam, sich vor dem Könige hören ließ, und so großen Beyfall erhielt, daß ihm eine ansehnliche Besoldung angeboten wurde, wenn er königliche Dienste nehmen wollte. Marchands Verdienste bestanden hauptsächlich in einem sehr feinen und zierlichen Vortrag. Seine Gedanken waren aber leer und unkräftig, fast nach Couperin’s Art, wie man wenigstens aus seinen Compositionen sehen kann. Aber Joh. Seb. Bach hatte den nehmlichen feinen und zierlichen Vortrag, und überdieß noch eine Gedankenfülle, die vielleicht Marchand hätte schwindeln machen können, wenn er sie gehört hätte. Dieß alles wußte Volumier, damahliger Concertmeister zu Dresden. Er kannte die Allgewalt des jungen rüstigen Deutschen über seine Gedanken und über sein Instrument, und wollte zwischen ihm und dem französischen Künstler einen Wettstreit veranlassen, um seinem Fürsten das Vergnügen zu verschaffen, ihren beyderseitigen Werth, aus eigener Vergleichung bestimmen zu können. Es wurde daher mit Vorwissen des Königs ungesäumt eine Botschaft an Joh. Seb. Bach nach Weimar gesandt, um ihn zu diesem musikalischen Wettstreit einzuladen. Die Einladung wurde angenommen, und die Reise unverzüglich angetreten. Nach der Ankunft Bachs in Dresden verschaffte ihm Volumier zuerst die Gelegenheit, Marchand heimlich zu hören. Bach verlor dadurch seinen Muth nicht, sondern lud nun durch ein höfliches Billet den französischen Künstler förmlich zu einem musikalischen Wettstreit ein, erbot sich, alles was Marchand ihm aufgeben würde, aus dem Stegreife auszuführen, erbat sich aber von ihm eine gleiche Bereitwilligkeit. Da Marchand die Ausforderung annahm, so wurde mit Vorwissen des Königs Zeit und Ort des Kampfs bestimmt. Eine große Gesellschaft beyderley Geschlechts und von hohem Range versammelte sich in dem zum Kampfplatz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="7"/> überließ sie einem geschickten und wohlgerathenen Zachauischen Schüler, mit Namen <hi rendition="#g">Kirchhof</hi>.</p> <p><hi rendition="#g">Joh. Seb. 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überließ sie einem geschickten und wohlgerathenen Zachauischen Schüler, mit Namen Kirchhof.
Joh. Seb. Bach war nun 32 Jahre alt geworden, hatte seine Zeit bis zu dieser Periode so genutzt, so viel studirt, gespielt und componirt, und durch diesen anhaltenden Fleiß und Eifer eine solche Gewalt über die ganze Kunst erhalten, daß er nun wie ein Riese da stand, und alles um sich her in den Staub treten konnte. Er war schon lange, nicht bloß von Liebhabern, sondern von Kennern bewundert und angestaunt worden, als im Jahr 1717 der ehemahls in Frankreich sehr berühmte Klavierspieler und Organist Marchand nach Dresden kam, sich vor dem Könige hören ließ, und so großen Beyfall erhielt, daß ihm eine ansehnliche Besoldung angeboten wurde, wenn er königliche Dienste nehmen wollte. Marchands Verdienste bestanden hauptsächlich in einem sehr feinen und zierlichen Vortrag. Seine Gedanken waren aber leer und unkräftig, fast nach Couperin’s Art, wie man wenigstens aus seinen Compositionen sehen kann. Aber Joh. Seb. Bach hatte den nehmlichen feinen und zierlichen Vortrag, und überdieß noch eine Gedankenfülle, die vielleicht Marchand hätte schwindeln machen können, wenn er sie gehört hätte. Dieß alles wußte Volumier, damahliger Concertmeister zu Dresden. Er kannte die Allgewalt des jungen rüstigen Deutschen über seine Gedanken und über sein Instrument, und wollte zwischen ihm und dem französischen Künstler einen Wettstreit veranlassen, um seinem Fürsten das Vergnügen zu verschaffen, ihren beyderseitigen Werth, aus eigener Vergleichung bestimmen zu können. Es wurde daher mit Vorwissen des Königs ungesäumt eine Botschaft an Joh. Seb. Bach nach Weimar gesandt, um ihn zu diesem musikalischen Wettstreit einzuladen. Die Einladung wurde angenommen, und die Reise unverzüglich angetreten. Nach der Ankunft Bachs in Dresden verschaffte ihm Volumier zuerst die Gelegenheit, Marchand heimlich zu hören. Bach verlor dadurch seinen Muth nicht, sondern lud nun durch ein höfliches Billet den französischen Künstler förmlich zu einem musikalischen Wettstreit ein, erbot sich, alles was Marchand ihm aufgeben würde, aus dem Stegreife auszuführen, erbat sich aber von ihm eine gleiche Bereitwilligkeit. Da Marchand die Ausforderung annahm, so wurde mit Vorwissen des Königs Zeit und Ort des Kampfs bestimmt. Eine große Gesellschaft beyderley Geschlechts und von hohem Range versammelte sich in dem zum Kampfplatz
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