Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.andauernd Liebe bezeigen soll, so muß noch etwas hinzukommen, was in der Person dieses Menschen liegt oder mit ihm zusammenhängt. Ich vermute, daß es, neben manchem Geringfügigeren, eine gewisse Beobachtungslust war, was mir des sonst so strengen Pastors sich immer gleichbleibenden freundlichen Gesinnungen eintrug. Er hatte sich meine Person ausgesucht, um an mir Studien über den natürlichen Menschen zu machen, etwa wie man gegnerische Bücher liest, nicht um sich zu bekehren, daran denkt niemand, sondern um Kenntnis zu nehmen. Die Naivität, mit der ich über Kirchliches und Politisches mich aussprach, amüsierte ihn zunächst, aber er ließ es, weil er meiner Ehrlichkeit traute, bei diesem Amüsement keineswegs bewenden, sondern sagte sich: "ja, wenn der so spricht, so muß wohl ein Restchen von Richtigem drin sein." Natürlich änderte das nichts an und in ihm. Aber er war gescheit genug, um jede aufrichtige Meinung, richtig oder falsch, klug oder dumm, der Betrachtung wert zu halten. Er hatte - alles tanzte nach seiner Pfeife - großen Einfluß nicht bloß als dirigierender Minister im Hause, sondern auch nach außen hin in der kirchlichen und zugleich vornehmen Welt, so beispielsweise bei den Stolbergs. Aber sonderbarerweise galt er durchaus nicht für einen "Mann von Gaben", auch andauernd Liebe bezeigen soll, so muß noch etwas hinzukommen, was in der Person dieses Menschen liegt oder mit ihm zusammenhängt. Ich vermute, daß es, neben manchem Geringfügigeren, eine gewisse Beobachtungslust war, was mir des sonst so strengen Pastors sich immer gleichbleibenden freundlichen Gesinnungen eintrug. Er hatte sich meine Person ausgesucht, um an mir Studien über den natürlichen Menschen zu machen, etwa wie man gegnerische Bücher liest, nicht um sich zu bekehren, daran denkt niemand, sondern um Kenntnis zu nehmen. Die Naivität, mit der ich über Kirchliches und Politisches mich aussprach, amüsierte ihn zunächst, aber er ließ es, weil er meiner Ehrlichkeit traute, bei diesem Amüsement keineswegs bewenden, sondern sagte sich: „ja, wenn der so spricht, so muß wohl ein Restchen von Richtigem drin sein.“ Natürlich änderte das nichts an und in ihm. Aber er war gescheit genug, um jede aufrichtige Meinung, richtig oder falsch, klug oder dumm, der Betrachtung wert zu halten. Er hatte – alles tanzte nach seiner Pfeife – großen Einfluß nicht bloß als dirigierender Minister im Hause, sondern auch nach außen hin in der kirchlichen und zugleich vornehmen Welt, so beispielsweise bei den Stolbergs. Aber sonderbarerweise galt er durchaus nicht für einen „Mann von Gaben“, auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0653" n="644"/> andauernd Liebe bezeigen soll, so muß noch etwas hinzukommen, was in der <hi rendition="#g">Person</hi> dieses Menschen liegt oder mit ihm zusammenhängt. Ich vermute, daß es, neben manchem Geringfügigeren, eine gewisse Beobachtungslust war, was mir des sonst so strengen Pastors sich immer gleichbleibenden freundlichen Gesinnungen eintrug. Er hatte sich meine Person ausgesucht, um an mir Studien über den natürlichen Menschen zu machen, etwa wie man gegnerische Bücher liest, nicht um sich zu bekehren, daran denkt niemand, sondern um Kenntnis zu nehmen. Die Naivität, mit der ich über Kirchliches und Politisches mich aussprach, amüsierte ihn zunächst, aber er ließ es, weil er meiner Ehrlichkeit traute, bei diesem Amüsement keineswegs bewenden, sondern sagte sich: „ja, wenn <hi rendition="#g">der</hi> so spricht, so muß wohl ein Restchen von Richtigem drin sein.“ Natürlich änderte das nichts an und in ihm. Aber er war gescheit genug, um jede aufrichtige Meinung, richtig oder falsch, klug oder dumm, der Betrachtung wert zu halten.</p><lb/> <p>Er hatte – alles tanzte nach seiner Pfeife – großen Einfluß nicht bloß als dirigierender Minister im Hause, sondern auch nach außen hin in der kirchlichen und zugleich vornehmen Welt, so beispielsweise bei den Stolbergs. Aber sonderbarerweise galt er durchaus nicht für einen „Mann von Gaben“, auch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [644/0653]
andauernd Liebe bezeigen soll, so muß noch etwas hinzukommen, was in der Person dieses Menschen liegt oder mit ihm zusammenhängt. Ich vermute, daß es, neben manchem Geringfügigeren, eine gewisse Beobachtungslust war, was mir des sonst so strengen Pastors sich immer gleichbleibenden freundlichen Gesinnungen eintrug. Er hatte sich meine Person ausgesucht, um an mir Studien über den natürlichen Menschen zu machen, etwa wie man gegnerische Bücher liest, nicht um sich zu bekehren, daran denkt niemand, sondern um Kenntnis zu nehmen. Die Naivität, mit der ich über Kirchliches und Politisches mich aussprach, amüsierte ihn zunächst, aber er ließ es, weil er meiner Ehrlichkeit traute, bei diesem Amüsement keineswegs bewenden, sondern sagte sich: „ja, wenn der so spricht, so muß wohl ein Restchen von Richtigem drin sein.“ Natürlich änderte das nichts an und in ihm. Aber er war gescheit genug, um jede aufrichtige Meinung, richtig oder falsch, klug oder dumm, der Betrachtung wert zu halten.
Er hatte – alles tanzte nach seiner Pfeife – großen Einfluß nicht bloß als dirigierender Minister im Hause, sondern auch nach außen hin in der kirchlichen und zugleich vornehmen Welt, so beispielsweise bei den Stolbergs. Aber sonderbarerweise galt er durchaus nicht für einen „Mann von Gaben“, auch
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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