genommen werden konnte, wenn's dem, der das Geschenk gemacht hatte, so gefiel, und während ich noch so dastand und kopfschüttelnd dem Jubel meiner Genossen zusah, sah ich schon im Geiste den in natürlicher Konsequenz sich einstellenden Tag vor mir, wo denn auch wirklich, sieben Monate später, dieselben Gardebataillone wieder einrückten und der Bürgerwehr die zehntausend Flinten abnahmen, mit denen sie den Sommer über, weder die Freiheit aufzubauen, noch die Ordnung herzustellen vermocht hatte. Mich verließ das Gefühl nicht, daß alles, was sich da Sieg nannte, nichts war, als ein mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zu stande gekommenes Etwas, dem man, ganz ohne Not, diesen volkstriumphlichen Ausgang gegeben, und lebte meinerseits mehr denn je der Ueberzeugung von der absolutesten Unbesiegbarkeit einer wohldisziplinierten Truppe jedem Volkshaufen, auch dem tapfersten gegenüber. Volkswille war nichts, königliche Macht war alles. Und in dieser Anschauung habe ich vierzig Jahre verbracht.
Vierzig Jahre! Jetzt aber denke ich doch anders darüber. Vieles hat sich vereinigt, mich in dieser Frage zu bekehren.
Den ersten Anstoß dazu gaben mir die 1891 erschienenen "Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach." In Band I, Seite 138, fand ich da
genommen werden konnte, wenn’s dem, der das Geschenk gemacht hatte, so gefiel, und während ich noch so dastand und kopfschüttelnd dem Jubel meiner Genossen zusah, sah ich schon im Geiste den in natürlicher Konsequenz sich einstellenden Tag vor mir, wo denn auch wirklich, sieben Monate später, dieselben Gardebataillone wieder einrückten und der Bürgerwehr die zehntausend Flinten abnahmen, mit denen sie den Sommer über, weder die Freiheit aufzubauen, noch die Ordnung herzustellen vermocht hatte. Mich verließ das Gefühl nicht, daß alles, was sich da Sieg nannte, nichts war, als ein mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zu stande gekommenes Etwas, dem man, ganz ohne Not, diesen volkstriumphlichen Ausgang gegeben, und lebte meinerseits mehr denn je der Ueberzeugung von der absolutesten Unbesiegbarkeit einer wohldisziplinierten Truppe jedem Volkshaufen, auch dem tapfersten gegenüber. Volkswille war nichts, königliche Macht war alles. Und in dieser Anschauung habe ich vierzig Jahre verbracht.
Vierzig Jahre! Jetzt aber denke ich doch anders darüber. Vieles hat sich vereinigt, mich in dieser Frage zu bekehren.
Den ersten Anstoß dazu gaben mir die 1891 erschienenen „Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach.“ In Band I, Seite 138, fand ich da
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genommen werden konnte, wenn’s dem, der das Geschenk gemacht hatte, so gefiel, und während ich noch so dastand und kopfschüttelnd dem Jubel meiner Genossen zusah, sah ich schon im Geiste den in natürlicher Konsequenz sich einstellenden Tag vor mir, wo denn auch wirklich, sieben Monate später, dieselben Gardebataillone wieder einrückten und der Bürgerwehr die zehntausend Flinten abnahmen, mit denen sie den Sommer über, weder die Freiheit aufzubauen, noch die Ordnung herzustellen vermocht hatte. Mich verließ das Gefühl nicht, daß alles, was sich da Sieg nannte, nichts war, als ein mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zu stande gekommenes Etwas, dem man, ganz ohne Not, diesen volkstriumphlichen Ausgang gegeben, und lebte meinerseits mehr denn je der Ueberzeugung von der absolutesten Unbesiegbarkeit einer wohldisziplinierten Truppe jedem Volkshaufen, auch dem tapfersten gegenüber. Volkswille war nichts, königliche Macht war alles. Und in dieser Anschauung habe ich vierzig Jahre verbracht.</p><lb/><p>Vierzig Jahre! Jetzt aber denke ich doch anders darüber. Vieles hat sich vereinigt, mich in dieser Frage zu bekehren.</p><lb/><p>Den ersten Anstoß dazu gaben mir die 1891 erschienenen „Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach.“ In Band I, Seite 138, fand ich da<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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genommen werden konnte, wenn’s dem, der das Geschenk gemacht hatte, so gefiel, und während ich noch so dastand und kopfschüttelnd dem Jubel meiner Genossen zusah, sah ich schon im Geiste den in natürlicher Konsequenz sich einstellenden Tag vor mir, wo denn auch wirklich, sieben Monate später, dieselben Gardebataillone wieder einrückten und der Bürgerwehr die zehntausend Flinten abnahmen, mit denen sie den Sommer über, weder die Freiheit aufzubauen, noch die Ordnung herzustellen vermocht hatte. Mich verließ das Gefühl nicht, daß alles, was sich da Sieg nannte, nichts war, als ein mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zu stande gekommenes Etwas, dem man, ganz ohne Not, diesen volkstriumphlichen Ausgang gegeben, und lebte meinerseits mehr denn je der Ueberzeugung von der absolutesten Unbesiegbarkeit einer wohldisziplinierten Truppe jedem Volkshaufen, auch dem tapfersten gegenüber. Volkswille war nichts, königliche Macht war alles. Und in dieser Anschauung habe ich vierzig Jahre verbracht.
Vierzig Jahre! Jetzt aber denke ich doch anders darüber. Vieles hat sich vereinigt, mich in dieser Frage zu bekehren.
Den ersten Anstoß dazu gaben mir die 1891 erschienenen „Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach.“ In Band I, Seite 138, fand ich da
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/617>, abgerufen am 29.06.2024.
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