Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.gehoben - jeden dritten oder fünften Tag zum Doktor gingen, um sich da das Leberthranrezept für ihre scrofulösen Kinder erneuern zu lassen, und die diesen Leberthran dann als Lampenöl benutzten. Alle diese guten Hausmütter hatten auch am 19. März frühmorgens keine Ausnahme gemacht und unbekümmert darum, ob "Vater" am Tage zuvor sein Gewehr abgeschossen oder seinen Ziegel geschleudert hatte, war "Mutter" jetzt da, um ihre Lampe wieder gratis mit Oel zu versorgen. Freiheit konnte sein, Leberthran mußte sein. Das ganz Alltägliche bleibt immer siegreich und am meisten das Gemeine. Während der Nacht vom 18. zum 19., um auch das nicht zu verschweigen, haben sich unglaubliche Scenen abgespielt. Es war mittlerweile belebter in Haus und Straße geworden und überall, wo sich etliche zusammenfanden, wurde von dem Anrücken des Leibregiments vom Frankfurter Thor her bis auf den Alexanderplatz und von dort her weiter bis auf den Schloßplatz gesprochen. Hunderte von Anwohnern der Landsbergerstraße waren Augenzeugen dieses mit großer Energie durchgeführten Vormarsches gewesen, und was der eine nicht wußte, das wußte der andre. Tolle Sachen waren vorgekommen, zum Teil auch wohl häßliche, die sich hier nicht erzählen lassen, aber die Verluste hatten trotzdem auf beiden Seiten gehoben – jeden dritten oder fünften Tag zum Doktor gingen, um sich da das Leberthranrezept für ihre scrofulösen Kinder erneuern zu lassen, und die diesen Leberthran dann als Lampenöl benutzten. Alle diese guten Hausmütter hatten auch am 19. März frühmorgens keine Ausnahme gemacht und unbekümmert darum, ob „Vater“ am Tage zuvor sein Gewehr abgeschossen oder seinen Ziegel geschleudert hatte, war „Mutter“ jetzt da, um ihre Lampe wieder gratis mit Oel zu versorgen. Freiheit konnte sein, Leberthran mußte sein. Das ganz Alltägliche bleibt immer siegreich und am meisten das Gemeine. Während der Nacht vom 18. zum 19., um auch das nicht zu verschweigen, haben sich unglaubliche Scenen abgespielt. Es war mittlerweile belebter in Haus und Straße geworden und überall, wo sich etliche zusammenfanden, wurde von dem Anrücken des Leibregiments vom Frankfurter Thor her bis auf den Alexanderplatz und von dort her weiter bis auf den Schloßplatz gesprochen. Hunderte von Anwohnern der Landsbergerstraße waren Augenzeugen dieses mit großer Energie durchgeführten Vormarsches gewesen, und was der eine nicht wußte, das wußte der andre. Tolle Sachen waren vorgekommen, zum Teil auch wohl häßliche, die sich hier nicht erzählen lassen, aber die Verluste hatten trotzdem auf beiden Seiten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0613" n="604"/> gehoben – jeden dritten oder fünften Tag zum Doktor gingen, um sich da das Leberthranrezept für ihre scrofulösen Kinder erneuern zu lassen, und die diesen Leberthran dann als Lampenöl benutzten. Alle diese guten Hausmütter hatten auch am 19. März frühmorgens keine Ausnahme gemacht und unbekümmert darum, ob „Vater“ am Tage zuvor sein Gewehr abgeschossen oder seinen Ziegel geschleudert hatte, war „Mutter“ jetzt da, um ihre Lampe wieder gratis mit Oel zu versorgen. Freiheit konnte sein, Leberthran mußte sein. Das ganz Alltägliche bleibt immer siegreich und am meisten das Gemeine. Während der Nacht vom 18. zum 19., um auch das nicht zu verschweigen, haben sich unglaubliche Scenen abgespielt.</p><lb/> <p>Es war mittlerweile belebter in Haus und Straße geworden und überall, wo sich etliche zusammenfanden, wurde von dem Anrücken des Leibregiments vom Frankfurter Thor her bis auf den Alexanderplatz und von dort her weiter bis auf den Schloßplatz gesprochen. Hunderte von Anwohnern der Landsbergerstraße waren Augenzeugen dieses mit großer Energie durchgeführten Vormarsches gewesen, und was der eine nicht wußte, das wußte der andre. Tolle Sachen waren vorgekommen, zum Teil auch wohl häßliche, die sich hier nicht erzählen lassen, aber die Verluste hatten trotzdem auf beiden Seiten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [604/0613]
gehoben – jeden dritten oder fünften Tag zum Doktor gingen, um sich da das Leberthranrezept für ihre scrofulösen Kinder erneuern zu lassen, und die diesen Leberthran dann als Lampenöl benutzten. Alle diese guten Hausmütter hatten auch am 19. März frühmorgens keine Ausnahme gemacht und unbekümmert darum, ob „Vater“ am Tage zuvor sein Gewehr abgeschossen oder seinen Ziegel geschleudert hatte, war „Mutter“ jetzt da, um ihre Lampe wieder gratis mit Oel zu versorgen. Freiheit konnte sein, Leberthran mußte sein. Das ganz Alltägliche bleibt immer siegreich und am meisten das Gemeine. Während der Nacht vom 18. zum 19., um auch das nicht zu verschweigen, haben sich unglaubliche Scenen abgespielt.
Es war mittlerweile belebter in Haus und Straße geworden und überall, wo sich etliche zusammenfanden, wurde von dem Anrücken des Leibregiments vom Frankfurter Thor her bis auf den Alexanderplatz und von dort her weiter bis auf den Schloßplatz gesprochen. Hunderte von Anwohnern der Landsbergerstraße waren Augenzeugen dieses mit großer Energie durchgeführten Vormarsches gewesen, und was der eine nicht wußte, das wußte der andre. Tolle Sachen waren vorgekommen, zum Teil auch wohl häßliche, die sich hier nicht erzählen lassen, aber die Verluste hatten trotzdem auf beiden Seiten
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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