wären und keinen habe ich kennen gelernt, an dem man das, was man damals ein "Genie" nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können, wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht "damals"; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummel-Genie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.
Faucher erschien in den Sonnabendsitzungen, die, wie schon kurz erwähnt, bei Maron stattfanden, mit großer Pünktlichkeit, sprach aber wenig, weil ihn unser lyrisches Treiben eigentlich langweilte, nicht aus Mangel an litterarischem Verständnis, sondern umgekehrt, weil er von künstlerischem Sinn mehr besaß als wir. Er hatte die feinere Zunge und zeigte sich vor allem als der kritisch Ueberlegene. Die Hauptsache waren ihm die Kneipereien, die sich an die "Sitzungen" anschlossen. An mir nahm er ein gewisses Interesse, was halb schmeichelhaft halb unschmeichelhaft war. Er sah mich aus seinen klugen Augen an und schien dabei sagen zu wollen: "es ist doch unglaublich, was noch für Menschen
wären und keinen habe ich kennen gelernt, an dem man das, was man damals ein „Genie“ nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können, wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht „damals“; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummel-Genie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.
Faucher erschien in den Sonnabendsitzungen, die, wie schon kurz erwähnt, bei Maron stattfanden, mit großer Pünktlichkeit, sprach aber wenig, weil ihn unser lyrisches Treiben eigentlich langweilte, nicht aus Mangel an litterarischem Verständnis, sondern umgekehrt, weil er von künstlerischem Sinn mehr besaß als wir. Er hatte die feinere Zunge und zeigte sich vor allem als der kritisch Ueberlegene. Die Hauptsache waren ihm die Kneipereien, die sich an die „Sitzungen“ anschlossen. An mir nahm er ein gewisses Interesse, was halb schmeichelhaft halb unschmeichelhaft war. Er sah mich aus seinen klugen Augen an und schien dabei sagen zu wollen: „es ist doch unglaublich, was noch für Menschen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0059"n="50"/>
wären und keinen habe ich kennen gelernt, an dem man das, was man damals ein „Genie“ nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können, wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht „damals“; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummel-Genie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.</p><lb/><p>Faucher erschien in den Sonnabendsitzungen, die, wie schon kurz erwähnt, bei Maron stattfanden, mit großer Pünktlichkeit, sprach aber wenig, weil ihn unser lyrisches Treiben eigentlich langweilte, nicht aus Mangel an litterarischem Verständnis, sondern umgekehrt, weil er von künstlerischem Sinn mehr besaß als wir. Er hatte die feinere Zunge und zeigte sich vor allem als der kritisch Ueberlegene. Die Hauptsache waren ihm die Kneipereien, die sich an die „Sitzungen“ anschlossen. An mir nahm er ein gewisses Interesse, was halb schmeichelhaft halb unschmeichelhaft war. Er sah mich aus seinen klugen Augen an und schien dabei sagen zu wollen: „es ist doch unglaublich, was noch für Menschen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[50/0059]
wären und keinen habe ich kennen gelernt, an dem man das, was man damals ein „Genie“ nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können, wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht „damals“; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummel-Genie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.
Faucher erschien in den Sonnabendsitzungen, die, wie schon kurz erwähnt, bei Maron stattfanden, mit großer Pünktlichkeit, sprach aber wenig, weil ihn unser lyrisches Treiben eigentlich langweilte, nicht aus Mangel an litterarischem Verständnis, sondern umgekehrt, weil er von künstlerischem Sinn mehr besaß als wir. Er hatte die feinere Zunge und zeigte sich vor allem als der kritisch Ueberlegene. Die Hauptsache waren ihm die Kneipereien, die sich an die „Sitzungen“ anschlossen. An mir nahm er ein gewisses Interesse, was halb schmeichelhaft halb unschmeichelhaft war. Er sah mich aus seinen klugen Augen an und schien dabei sagen zu wollen: „es ist doch unglaublich, was noch für Menschen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/59>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.