Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.ist, nachdem ich der Sache erst mal auf den Grund gesehen, das "Affable" durch Erscheinungen wie die meines Onkels geradezu verleidet worden und wenn ich mich, was öfter geschieht, auf meine "Liebenswürdigkeit" hin angesprochen sehe, so kommt mir jedesmal der Gedanke "solltest du vielleicht auch ..." und eine Gänsehaut überläuft mich. Ich habe mir denn auch infolge davon durch manches Jahr hin ganz ehrlich gewünscht, ein Grobian zu sein, bis ich schließlich dahinter gekommen bin, daß auch das nichts hilft und daß die Grobiane genau denselben Moraldefekt haben können, nur in andrer Einkleidung. Dieser Moraldefekt ist eben eine Gottesgabe für sich, die sich mit jedem Temperament und jeder Manier verträgt. Am furchtbarsten ist die Gruppe der im stillen ihr Schäfchen scherenden Biedermeier. Ich kehre nach dieser abschließenden Onkel-August-Episode zu meinen eignen Angelegenheiten zurück. Spätsommer 46 gab ich meine Wohnung in der Dorotheenstraße wieder auf und quartierte mich bei meinen auf dem Lande lebenden Eltern ein, um da meine Studien privatim fortzusetzen, so gut oder so schlecht es ging. "So schlecht" ist das richtigere. ist, nachdem ich der Sache erst mal auf den Grund gesehen, das „Affable“ durch Erscheinungen wie die meines Onkels geradezu verleidet worden und wenn ich mich, was öfter geschieht, auf meine „Liebenswürdigkeit“ hin angesprochen sehe, so kommt mir jedesmal der Gedanke „solltest du vielleicht auch ...“ und eine Gänsehaut überläuft mich. Ich habe mir denn auch infolge davon durch manches Jahr hin ganz ehrlich gewünscht, ein Grobian zu sein, bis ich schließlich dahinter gekommen bin, daß auch das nichts hilft und daß die Grobiane genau denselben Moraldefekt haben können, nur in andrer Einkleidung. Dieser Moraldefekt ist eben eine Gottesgabe für sich, die sich mit jedem Temperament und jeder Manier verträgt. Am furchtbarsten ist die Gruppe der im stillen ihr Schäfchen scherenden Biedermeier. Ich kehre nach dieser abschließenden Onkel-August-Episode zu meinen eignen Angelegenheiten zurück. Spätsommer 46 gab ich meine Wohnung in der Dorotheenstraße wieder auf und quartierte mich bei meinen auf dem Lande lebenden Eltern ein, um da meine Studien privatim fortzusetzen, so gut oder so schlecht es ging. „So schlecht“ ist das richtigere. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0576" n="567"/> ist, nachdem ich der Sache erst mal auf den Grund gesehen, das „Affable“ durch Erscheinungen wie die meines Onkels geradezu verleidet worden und wenn ich mich, was öfter geschieht, auf meine „Liebenswürdigkeit“ hin angesprochen sehe, so kommt mir jedesmal der Gedanke „solltest du vielleicht auch ...“ und eine Gänsehaut überläuft mich. Ich habe mir denn auch infolge davon durch manches Jahr hin ganz ehrlich gewünscht, ein Grobian zu sein, bis ich schließlich dahinter gekommen bin, daß auch <hi rendition="#g">das</hi> nichts hilft und daß die Grobiane genau denselben Moraldefekt haben können, nur in andrer Einkleidung. Dieser Moraldefekt ist eben eine Gottesgabe für sich, die sich mit <hi rendition="#g">jedem</hi> Temperament und <hi rendition="#g">jeder</hi> Manier verträgt. Am furchtbarsten ist die Gruppe der im stillen ihr Schäfchen scherenden Biedermeier.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ich kehre nach dieser abschließenden Onkel-August-Episode zu meinen eignen Angelegenheiten zurück.</p><lb/> <p>Spätsommer 46 gab ich meine Wohnung in der Dorotheenstraße wieder auf und quartierte mich bei meinen auf dem Lande lebenden Eltern ein, um da meine Studien privatim fortzusetzen, so gut oder so schlecht es ging. „So schlecht“ ist das richtigere.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [567/0576]
ist, nachdem ich der Sache erst mal auf den Grund gesehen, das „Affable“ durch Erscheinungen wie die meines Onkels geradezu verleidet worden und wenn ich mich, was öfter geschieht, auf meine „Liebenswürdigkeit“ hin angesprochen sehe, so kommt mir jedesmal der Gedanke „solltest du vielleicht auch ...“ und eine Gänsehaut überläuft mich. Ich habe mir denn auch infolge davon durch manches Jahr hin ganz ehrlich gewünscht, ein Grobian zu sein, bis ich schließlich dahinter gekommen bin, daß auch das nichts hilft und daß die Grobiane genau denselben Moraldefekt haben können, nur in andrer Einkleidung. Dieser Moraldefekt ist eben eine Gottesgabe für sich, die sich mit jedem Temperament und jeder Manier verträgt. Am furchtbarsten ist die Gruppe der im stillen ihr Schäfchen scherenden Biedermeier.
Ich kehre nach dieser abschließenden Onkel-August-Episode zu meinen eignen Angelegenheiten zurück.
Spätsommer 46 gab ich meine Wohnung in der Dorotheenstraße wieder auf und quartierte mich bei meinen auf dem Lande lebenden Eltern ein, um da meine Studien privatim fortzusetzen, so gut oder so schlecht es ging. „So schlecht“ ist das richtigere.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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