Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel "Kleine Studien" erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der "Censor" und der schon mehrerwähnte "Frack des Herrn von Chergal", Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckel'scher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensur-Unwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den Assessor denkbar günstigste und führt dann auch um so rascher zu seiner sofortigen Zensor-Anstellung, als er durch Schliff und Sicherheit sogar seiner Exzellenz zu imponieren weiß. Und schon am andern Tage giebt er die Beweise seines Könnens. Aber freilich so, daß sein Eifer noch furchtbarer empfunden wird, als die Laxheit seiner Vorgänger, weshalb ihn Exzellenz mit den Worten andonnert: "Gehn Sie zum Teufel." "Nichts leichter als das," antwortet der so ungnädig Entlassene. Denn er ist eben niemand anderes als der gute alte Mephisto in einer seiner vielen herkömmlichen Verkappungen. Auch der Teufel hat es als preußischer Zensor nicht aushalten können hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel „Kleine Studien“ erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der „Censor“ und der schon mehrerwähnte „Frack des Herrn von Chergal“, Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckel’scher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensur-Unwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den Assessor denkbar günstigste und führt dann auch um so rascher zu seiner sofortigen Zensor-Anstellung, als er durch Schliff und Sicherheit sogar seiner Exzellenz zu imponieren weiß. Und schon am andern Tage giebt er die Beweise seines Könnens. Aber freilich so, daß sein Eifer noch furchtbarer empfunden wird, als die Laxheit seiner Vorgänger, weshalb ihn Exzellenz mit den Worten andonnert: „Gehn Sie zum Teufel.“ „Nichts leichter als das,“ antwortet der so ungnädig Entlassene. Denn er ist eben niemand anderes als der gute alte Mephisto in einer seiner vielen herkömmlichen Verkappungen. Auch der Teufel hat es als preußischer Zensor nicht aushalten können <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0537" n="528"/> hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel „Kleine Studien“ erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der „Censor“ und der schon mehrerwähnte „Frack des Herrn von Chergal“, Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckel’scher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensur-Unwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den Assessor denkbar günstigste und führt dann auch um so rascher zu seiner sofortigen Zensor-Anstellung, als er durch Schliff und Sicherheit sogar seiner Exzellenz zu imponieren weiß. Und schon am andern Tage giebt er die Beweise seines Könnens. Aber freilich so, daß sein Eifer noch furchtbarer empfunden wird, als die Laxheit seiner Vorgänger, weshalb ihn Exzellenz mit den Worten andonnert: „Gehn Sie zum Teufel.“ „Nichts leichter als das,“ antwortet der so ungnädig Entlassene. Denn er ist eben niemand anderes als der gute alte Mephisto in einer seiner vielen herkömmlichen Verkappungen. Auch der Teufel hat es als preußischer Zensor nicht aushalten können<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [528/0537]
hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel „Kleine Studien“ erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der „Censor“ und der schon mehrerwähnte „Frack des Herrn von Chergal“, Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckel’scher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensur-Unwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den Assessor denkbar günstigste und führt dann auch um so rascher zu seiner sofortigen Zensor-Anstellung, als er durch Schliff und Sicherheit sogar seiner Exzellenz zu imponieren weiß. Und schon am andern Tage giebt er die Beweise seines Könnens. Aber freilich so, daß sein Eifer noch furchtbarer empfunden wird, als die Laxheit seiner Vorgänger, weshalb ihn Exzellenz mit den Worten andonnert: „Gehn Sie zum Teufel.“ „Nichts leichter als das,“ antwortet der so ungnädig Entlassene. Denn er ist eben niemand anderes als der gute alte Mephisto in einer seiner vielen herkömmlichen Verkappungen. Auch der Teufel hat es als preußischer Zensor nicht aushalten können
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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