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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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den Blicken Fremder - und nun gar erst richtiger "Berliner" - nicht gern aussetzen. Er behandelte sich selbst wie einen "Heimlich Verwachsenen" und hat sich, eine fremde Gestalt vorschiebend, in seiner bedeutendsten Erzählung "Der Frack des Herrn von Chergal" in rührender Selbstironie wie folgt geschildert. "... Nun werden sich unter meinen Lesern sehr wahrscheinlich einige jener Stiefsöhne der Natur befinden, die nicht um ihrer Seele, wohl aber um ihres Leibes willen an einem bösen Gewissen laborieren und wenn nicht von Reue, so doch von stiller Verschämtheit bedrückt, ihren leiblichen ,Verdruß' durch das lange Leben zu tragen verurteilt sind. Ich meine natürlich nicht jene Glücklicheren, welche durch einen notorischen, aller Welt offenkundigen Höcker der Mühe des Verbergens und Vertuschens überhoben sind, ich meine jene geheimen Dulder, denen die Natur einen feineren Schabernack anthat und ihnen dadurch die Versuchung nahe legte, das störende Zuviel oder Zuwenig auszugleichen, was dann gleichbedeutend ist mit der Notwendigkeit eines unausgesetzten Lügenspiels und der ewigen Furcht vor Entdeckung." In dieser Schilderung des Herrn v. Chergal haben wir ihn selbst. Er war denn auch ganz der Mann engster Kreise; nur kein Hinaustreten ins Oeffentliche. Wenn in Sommertagen seine Frau zeitweilig in den Bergen oder an der

den Blicken Fremder – und nun gar erst richtiger „Berliner“ – nicht gern aussetzen. Er behandelte sich selbst wie einen „Heimlich Verwachsenen“ und hat sich, eine fremde Gestalt vorschiebend, in seiner bedeutendsten Erzählung „Der Frack des Herrn von Chergal“ in rührender Selbstironie wie folgt geschildert. „… Nun werden sich unter meinen Lesern sehr wahrscheinlich einige jener Stiefsöhne der Natur befinden, die nicht um ihrer Seele, wohl aber um ihres Leibes willen an einem bösen Gewissen laborieren und wenn nicht von Reue, so doch von stiller Verschämtheit bedrückt, ihren leiblichen ‚Verdruß‘ durch das lange Leben zu tragen verurteilt sind. Ich meine natürlich nicht jene Glücklicheren, welche durch einen notorischen, aller Welt offenkundigen Höcker der Mühe des Verbergens und Vertuschens überhoben sind, ich meine jene geheimen Dulder, denen die Natur einen feineren Schabernack anthat und ihnen dadurch die Versuchung nahe legte, das störende Zuviel oder Zuwenig auszugleichen, was dann gleichbedeutend ist mit der Notwendigkeit eines unausgesetzten Lügenspiels und der ewigen Furcht vor Entdeckung.“ In dieser Schilderung des Herrn v. Chergal haben wir ihn selbst. Er war denn auch ganz der Mann engster Kreise; nur kein Hinaustreten ins Oeffentliche. Wenn in Sommertagen seine Frau zeitweilig in den Bergen oder an der

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[522/0531] den Blicken Fremder – und nun gar erst richtiger „Berliner“ – nicht gern aussetzen. Er behandelte sich selbst wie einen „Heimlich Verwachsenen“ und hat sich, eine fremde Gestalt vorschiebend, in seiner bedeutendsten Erzählung „Der Frack des Herrn von Chergal“ in rührender Selbstironie wie folgt geschildert. „… Nun werden sich unter meinen Lesern sehr wahrscheinlich einige jener Stiefsöhne der Natur befinden, die nicht um ihrer Seele, wohl aber um ihres Leibes willen an einem bösen Gewissen laborieren und wenn nicht von Reue, so doch von stiller Verschämtheit bedrückt, ihren leiblichen ‚Verdruß‘ durch das lange Leben zu tragen verurteilt sind. Ich meine natürlich nicht jene Glücklicheren, welche durch einen notorischen, aller Welt offenkundigen Höcker der Mühe des Verbergens und Vertuschens überhoben sind, ich meine jene geheimen Dulder, denen die Natur einen feineren Schabernack anthat und ihnen dadurch die Versuchung nahe legte, das störende Zuviel oder Zuwenig auszugleichen, was dann gleichbedeutend ist mit der Notwendigkeit eines unausgesetzten Lügenspiels und der ewigen Furcht vor Entdeckung.“ In dieser Schilderung des Herrn v. Chergal haben wir ihn selbst. Er war denn auch ganz der Mann engster Kreise; nur kein Hinaustreten ins Oeffentliche. Wenn in Sommertagen seine Frau zeitweilig in den Bergen oder an der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/531>, abgerufen am 22.11.2024.