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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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heiße, daß er womöglich noch besser als Nordhäuser sei; ob ich ihm vielleicht den vorsetzen dürfe? Sein Gesicht nahm sofort einen komisch feierlichen Ausdruck an, und den Rotwein beinah' despektierlich zurückschiebend, sagte er: "Dann bitt' ich freilich um Wernigeröder." Er behandelte ihn wie Frühstückswein und sprach sich, als er mehrere mittelgroße Gläser geleert hatte, voll Anerkennung über den Mann aus, der dies "edle Naß" so rechtzeitig geschickt habe. Diese Begegnung mit ihm fand in Tagen statt, die seine letzten guten Tage waren. Er wurde bald danach krank und verfiel sichtlich. Er ritt viel, von Kur wegen, und wenn ich ihn im Tiergarten traf, ging ich eine Strecke neben ihm her und ließ mir von ihm erzählen. Es war immer noch die alte forsche Sprechweise, aber mit einem Dämpfer drauf, und verhältnismäßig schnell ging es zu Ende. Er war eine Figur und hat sich wohl jedem fest eingeprägt, der ihn kennen lernte.

Alle die hier Genannten gehörten dem Familienkreise, dem "cercle intime" an. Von sehr anderer Zusammensetzung war der Kreis, der an der offiziellen Repräsentation teilnahm, also wenn Mitarbeiter - meist auswärtige Korrespondenten - eintrafen, die gefeiert werden sollten, oder bei Gelegenheit von Königsgeburtstag. Auch da fanden sich

heiße, daß er womöglich noch besser als Nordhäuser sei; ob ich ihm vielleicht den vorsetzen dürfe? Sein Gesicht nahm sofort einen komisch feierlichen Ausdruck an, und den Rotwein beinah’ despektierlich zurückschiebend, sagte er: „Dann bitt’ ich freilich um Wernigeröder.“ Er behandelte ihn wie Frühstückswein und sprach sich, als er mehrere mittelgroße Gläser geleert hatte, voll Anerkennung über den Mann aus, der dies „edle Naß“ so rechtzeitig geschickt habe. Diese Begegnung mit ihm fand in Tagen statt, die seine letzten guten Tage waren. Er wurde bald danach krank und verfiel sichtlich. Er ritt viel, von Kur wegen, und wenn ich ihn im Tiergarten traf, ging ich eine Strecke neben ihm her und ließ mir von ihm erzählen. Es war immer noch die alte forsche Sprechweise, aber mit einem Dämpfer drauf, und verhältnismäßig schnell ging es zu Ende. Er war eine Figur und hat sich wohl jedem fest eingeprägt, der ihn kennen lernte.

Alle die hier Genannten gehörten dem Familienkreise, dem „cercle intime“ an. Von sehr anderer Zusammensetzung war der Kreis, der an der offiziellen Repräsentation teilnahm, also wenn Mitarbeiter – meist auswärtige Korrespondenten – eintrafen, die gefeiert werden sollten, oder bei Gelegenheit von Königsgeburtstag. Auch da fanden sich

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[466/0475] heiße, daß er womöglich noch besser als Nordhäuser sei; ob ich ihm vielleicht den vorsetzen dürfe? Sein Gesicht nahm sofort einen komisch feierlichen Ausdruck an, und den Rotwein beinah’ despektierlich zurückschiebend, sagte er: „Dann bitt’ ich freilich um Wernigeröder.“ Er behandelte ihn wie Frühstückswein und sprach sich, als er mehrere mittelgroße Gläser geleert hatte, voll Anerkennung über den Mann aus, der dies „edle Naß“ so rechtzeitig geschickt habe. Diese Begegnung mit ihm fand in Tagen statt, die seine letzten guten Tage waren. Er wurde bald danach krank und verfiel sichtlich. Er ritt viel, von Kur wegen, und wenn ich ihn im Tiergarten traf, ging ich eine Strecke neben ihm her und ließ mir von ihm erzählen. Es war immer noch die alte forsche Sprechweise, aber mit einem Dämpfer drauf, und verhältnismäßig schnell ging es zu Ende. Er war eine Figur und hat sich wohl jedem fest eingeprägt, der ihn kennen lernte. Alle die hier Genannten gehörten dem Familienkreise, dem „cercle intime“ an. Von sehr anderer Zusammensetzung war der Kreis, der an der offiziellen Repräsentation teilnahm, also wenn Mitarbeiter – meist auswärtige Korrespondenten – eintrafen, die gefeiert werden sollten, oder bei Gelegenheit von Königsgeburtstag. Auch da fanden sich

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/475>, abgerufen am 25.11.2024.