gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poeten-Gesellschaft vor, ohne selbst auch nur das Geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Cafe Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgiltigkeit oder gar Ueberhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders, - er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: "Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen." Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab: "sie sei noch nie zurück-
gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poeten-Gesellschaft vor, ohne selbst auch nur das Geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Café Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgiltigkeit oder gar Ueberhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders, – er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: „Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen.“ Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab: „sie sei noch nie zurück-
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gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poeten-Gesellschaft vor, ohne selbst auch nur das Geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Café Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgiltigkeit oder gar Ueberhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders, – er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: „Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen.“ Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab: „sie sei noch nie zurück-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poeten-Gesellschaft vor, ohne selbst auch nur das Geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Café Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgiltigkeit oder gar Ueberhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders, – er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: „Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen.“ Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab: „sie sei noch nie zurück-
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/432>, abgerufen am 23.07.2024.
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