"ehemalige Prinzeß Charlotte" ließ sich so gern alte Berliner Geschichten erzählen. Einige Tunnelianer spöttelten darüber. Schneider zuckte die Achseln und sagte: "Ja, Kinder, in gewissem Sinne bin ich der richtige Byzantiner. Ich leugne nämlich nicht, daß, wenn es sich um Thee-Abende handelt und ich dabei die Wahl zwischen Frau Salzinspektor Krüger und der Kaiserin von Rußland habe, so bin ich immer für die Kaiserin von Rußland." An bon sens war Schneider all seinen Gegnern jederzeit sehr überlegen.
Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei den Thee-Abenden - auch bei den "königlichen", die fast einen dienstlichen Charakter hatten - nicht immer ganz glatt ablief. Eines Tages erschien Schneider wieder mal in seiner Vorlesereigenschaft oben auf Sanssouci und sah sich im Vorzimmer ohne viel Entschuldigung benachrichtigt, "daß es heute nichts sei", weil eine der Königin empfohlene vornehme Dame verschiedene Gesangspiecen vortragen werde. Schneider verbeugte sich, nahm seine Vorlesermappe ruhig wieder unter den Arm und verschwand. Aus dieser Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; "da sähe man's, - ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen". Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird "hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht
„ehemalige Prinzeß Charlotte“ ließ sich so gern alte Berliner Geschichten erzählen. Einige Tunnelianer spöttelten darüber. Schneider zuckte die Achseln und sagte: „Ja, Kinder, in gewissem Sinne bin ich der richtige Byzantiner. Ich leugne nämlich nicht, daß, wenn es sich um Thee-Abende handelt und ich dabei die Wahl zwischen Frau Salzinspektor Krüger und der Kaiserin von Rußland habe, so bin ich immer für die Kaiserin von Rußland.“ An bon sens war Schneider all seinen Gegnern jederzeit sehr überlegen.
Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei den Thee-Abenden – auch bei den „königlichen“, die fast einen dienstlichen Charakter hatten – nicht immer ganz glatt ablief. Eines Tages erschien Schneider wieder mal in seiner Vorlesereigenschaft oben auf Sanssouci und sah sich im Vorzimmer ohne viel Entschuldigung benachrichtigt, „daß es heute nichts sei“, weil eine der Königin empfohlene vornehme Dame verschiedene Gesangspiecen vortragen werde. Schneider verbeugte sich, nahm seine Vorlesermappe ruhig wieder unter den Arm und verschwand. Aus dieser Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; „da sähe man’s, – ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen“. Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird „hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0429"n="420"/>„ehemalige Prinzeß Charlotte“ ließ sich so gern alte Berliner Geschichten erzählen. Einige Tunnelianer spöttelten darüber. Schneider zuckte die Achseln und sagte: „Ja, Kinder, in gewissem Sinne bin ich der richtige Byzantiner. Ich leugne nämlich nicht, daß, wenn es sich um Thee-Abende handelt und ich dabei die Wahl zwischen Frau Salzinspektor Krüger und der Kaiserin von Rußland habe, so bin ich immer für die Kaiserin von Rußland.“ An <hirendition="#aq">bon sens</hi> war Schneider all seinen Gegnern jederzeit sehr überlegen.</p><lb/><p>Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei den Thee-Abenden – auch bei den „königlichen“, die fast einen dienstlichen Charakter hatten – nicht immer ganz glatt ablief. Eines Tages erschien Schneider wieder mal in seiner Vorlesereigenschaft oben auf Sanssouci und sah sich im Vorzimmer ohne viel Entschuldigung benachrichtigt, „daß es heute nichts sei“, weil eine der Königin empfohlene vornehme Dame verschiedene Gesangspiecen vortragen werde. Schneider verbeugte sich, nahm seine Vorlesermappe ruhig wieder unter den Arm und verschwand. Aus dieser Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; „da sähe man’s, – ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen“. Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird „hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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„ehemalige Prinzeß Charlotte“ ließ sich so gern alte Berliner Geschichten erzählen. Einige Tunnelianer spöttelten darüber. Schneider zuckte die Achseln und sagte: „Ja, Kinder, in gewissem Sinne bin ich der richtige Byzantiner. Ich leugne nämlich nicht, daß, wenn es sich um Thee-Abende handelt und ich dabei die Wahl zwischen Frau Salzinspektor Krüger und der Kaiserin von Rußland habe, so bin ich immer für die Kaiserin von Rußland.“ An bon sens war Schneider all seinen Gegnern jederzeit sehr überlegen.
Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei den Thee-Abenden – auch bei den „königlichen“, die fast einen dienstlichen Charakter hatten – nicht immer ganz glatt ablief. Eines Tages erschien Schneider wieder mal in seiner Vorlesereigenschaft oben auf Sanssouci und sah sich im Vorzimmer ohne viel Entschuldigung benachrichtigt, „daß es heute nichts sei“, weil eine der Königin empfohlene vornehme Dame verschiedene Gesangspiecen vortragen werde. Schneider verbeugte sich, nahm seine Vorlesermappe ruhig wieder unter den Arm und verschwand. Aus dieser Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; „da sähe man’s, – ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen“. Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird „hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/429>, abgerufen am 16.02.2025.
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