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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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zunächst meinem Urteil unterbreiten wollten. Ich erschien denn auch. Bei Schramm fand die Probe-Vorlesung in seiner Wohnung statt, bei Schneider in Meinhards Hotel, unter den Linden, wo er, wenn er nach Berlin herüberkam, abzusteigen pflegte. Beide lasen gleich schlecht, weil nach demselben falschen Prinzip, das in dem altehrwürdigen Gegensatz von Gebrüll und Gewisper wurzelte. Dabei kam es vor, daß Schneider eine ganz zweifellose Wisperstelle geradezu donnerte. Junge Dichter begehen nun gewöhnlich den Fehler, dergleichen korrigieren zu wollen, was bloß verschnupft. Darauf hab ich mich aber nie eingelassen, fand vielmehr jederzeit alles wunderschön, weil ich, neben dem in erster Reihe stehenden Wunsche kein Aergernis zu geben, auch schon damals eine ziemlich richtige Vorstellung von dem hatte, was "Publikum" bedeutet. Die Geschichte von Garrick, der durch Vortrag des englischen Alphabets die Zuhörerschaft von Drury Lane hinriß und zu Thränen rührte, wiederholt sich cum grano salis tagtäglich.

Es waren, aus dem Gros d'Armee des Tunnels vorzugsweise Lepel, Eggers, Hesekiel und ich, denen Schneiders Wohlwollen zu gute kam. Aber was bedeuteten diese Gutthaten neben all dem Auszeichnenden, Schmeichelhaften und Fördernden, was durch die bei Hofe stattfindenden Schneider-Vor-

zunächst meinem Urteil unterbreiten wollten. Ich erschien denn auch. Bei Schramm fand die Probe-Vorlesung in seiner Wohnung statt, bei Schneider in Meinhards Hotel, unter den Linden, wo er, wenn er nach Berlin herüberkam, abzusteigen pflegte. Beide lasen gleich schlecht, weil nach demselben falschen Prinzip, das in dem altehrwürdigen Gegensatz von Gebrüll und Gewisper wurzelte. Dabei kam es vor, daß Schneider eine ganz zweifellose Wisperstelle geradezu donnerte. Junge Dichter begehen nun gewöhnlich den Fehler, dergleichen korrigieren zu wollen, was bloß verschnupft. Darauf hab ich mich aber nie eingelassen, fand vielmehr jederzeit alles wunderschön, weil ich, neben dem in erster Reihe stehenden Wunsche kein Aergernis zu geben, auch schon damals eine ziemlich richtige Vorstellung von dem hatte, was „Publikum“ bedeutet. Die Geschichte von Garrick, der durch Vortrag des englischen Alphabets die Zuhörerschaft von Drury Lane hinriß und zu Thränen rührte, wiederholt sich cum grano salis tagtäglich.

Es waren, aus dem Gros d’Armée des Tunnels vorzugsweise Lepel, Eggers, Hesekiel und ich, denen Schneiders Wohlwollen zu gute kam. Aber was bedeuteten diese Gutthaten neben all dem Auszeichnenden, Schmeichelhaften und Fördernden, was durch die bei Hofe stattfindenden Schneider-Vor-

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zunächst meinem Urteil unterbreiten wollten. Ich erschien denn auch. Bei Schramm fand die Probe-Vorlesung in seiner Wohnung statt, bei Schneider in Meinhards Hotel, unter den Linden, wo er, wenn er nach Berlin herüberkam, abzusteigen pflegte. Beide lasen gleich schlecht, weil nach demselben falschen Prinzip, das in dem altehrwürdigen Gegensatz von Gebrüll und Gewisper wurzelte. Dabei kam es vor, daß Schneider eine ganz zweifellose Wisperstelle geradezu donnerte. Junge Dichter begehen nun gewöhnlich den Fehler, dergleichen korrigieren zu wollen, was bloß verschnupft. Darauf hab ich mich aber nie eingelassen, fand vielmehr jederzeit alles wunderschön, weil ich, neben dem in erster Reihe stehenden Wunsche kein Aergernis zu geben, auch schon damals eine ziemlich richtige Vorstellung von <hi rendition="#g">dem</hi> hatte, was &#x201E;Publikum&#x201C; bedeutet. Die Geschichte von Garrick, der durch Vortrag des englischen Alphabets die Zuhörerschaft von Drury Lane hinriß und zu Thränen rührte, wiederholt sich <hi rendition="#aq">cum grano salis</hi> tagtäglich.</p><lb/>
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[408/0417] zunächst meinem Urteil unterbreiten wollten. Ich erschien denn auch. Bei Schramm fand die Probe-Vorlesung in seiner Wohnung statt, bei Schneider in Meinhards Hotel, unter den Linden, wo er, wenn er nach Berlin herüberkam, abzusteigen pflegte. Beide lasen gleich schlecht, weil nach demselben falschen Prinzip, das in dem altehrwürdigen Gegensatz von Gebrüll und Gewisper wurzelte. Dabei kam es vor, daß Schneider eine ganz zweifellose Wisperstelle geradezu donnerte. Junge Dichter begehen nun gewöhnlich den Fehler, dergleichen korrigieren zu wollen, was bloß verschnupft. Darauf hab ich mich aber nie eingelassen, fand vielmehr jederzeit alles wunderschön, weil ich, neben dem in erster Reihe stehenden Wunsche kein Aergernis zu geben, auch schon damals eine ziemlich richtige Vorstellung von dem hatte, was „Publikum“ bedeutet. Die Geschichte von Garrick, der durch Vortrag des englischen Alphabets die Zuhörerschaft von Drury Lane hinriß und zu Thränen rührte, wiederholt sich cum grano salis tagtäglich. Es waren, aus dem Gros d’Armée des Tunnels vorzugsweise Lepel, Eggers, Hesekiel und ich, denen Schneiders Wohlwollen zu gute kam. Aber was bedeuteten diese Gutthaten neben all dem Auszeichnenden, Schmeichelhaften und Fördernden, was durch die bei Hofe stattfindenden Schneider-Vor-

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Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/417>, abgerufen am 22.11.2024.