das, was da stehe, nicht verstünde," worauf Methfessel einen geordneten Rückzug antrat. Aber nicht um die Sache dabei bewenden zu lassen. Es kam zwar zu keinem Eklat, trotzdem war ganz im stillen die Folge, daß die Schulvorsteherin, "weil sie nicht aufgepaßt", an der erwähnten letzten Diariumsseite zu Grunde ging. Sie starb in sehr beschränkten Verhältnissen. Die junge Blondine - und das ist das einzig Erfreuliche an der Sache - kam unangefochten darüber hin und ist längst glückliche Großmutter.
So die Geschichte. War das Verfahren richtig? Ich, wenn ich Schulrat gewesen wäre, hätte nach der Schulstunde zu dem armen, in seiner Scham und Todesangst genugsam abgestraften jungen Dinge gesagt: "Mein liebes Fräulein, wir wollen das zerreißen; das gehört nicht in Ihre Phantasie, noch weniger in Ihr Diarium." Und damit, meine ich, wäre es genug gewesen. Ich unterbreite die Geschichte nach Ablauf von mehr als vierzig Jahren dem Urteil der Pädagogen und denke, sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Methfessel, so weit diese Geschichte mitspricht, war ein Doktrinär und kein Menschenkenner. Oder aber - er wollte keiner sein.
Ich fürchte beinahe das letztere.
das, was da stehe, nicht verstünde,“ worauf Methfessel einen geordneten Rückzug antrat. Aber nicht um die Sache dabei bewenden zu lassen. Es kam zwar zu keinem Eklat, trotzdem war ganz im stillen die Folge, daß die Schulvorsteherin, „weil sie nicht aufgepaßt“, an der erwähnten letzten Diariumsseite zu Grunde ging. Sie starb in sehr beschränkten Verhältnissen. Die junge Blondine – und das ist das einzig Erfreuliche an der Sache – kam unangefochten darüber hin und ist längst glückliche Großmutter.
So die Geschichte. War das Verfahren richtig? Ich, wenn ich Schulrat gewesen wäre, hätte nach der Schulstunde zu dem armen, in seiner Scham und Todesangst genugsam abgestraften jungen Dinge gesagt: „Mein liebes Fräulein, wir wollen das zerreißen; das gehört nicht in Ihre Phantasie, noch weniger in Ihr Diarium.“ Und damit, meine ich, wäre es genug gewesen. Ich unterbreite die Geschichte nach Ablauf von mehr als vierzig Jahren dem Urteil der Pädagogen und denke, sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Methfessel, so weit diese Geschichte mitspricht, war ein Doktrinär und kein Menschenkenner. Oder aber – er wollte keiner sein.
Ich fürchte beinahe das letztere.
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[403/0412]
das, was da stehe, nicht verstünde,“ worauf Methfessel einen geordneten Rückzug antrat. Aber nicht um die Sache dabei bewenden zu lassen. Es kam zwar zu keinem Eklat, trotzdem war ganz im stillen die Folge, daß die Schulvorsteherin, „weil sie nicht aufgepaßt“, an der erwähnten letzten Diariumsseite zu Grunde ging. Sie starb in sehr beschränkten Verhältnissen. Die junge Blondine – und das ist das einzig Erfreuliche an der Sache – kam unangefochten darüber hin und ist längst glückliche Großmutter.
So die Geschichte. War das Verfahren richtig? Ich, wenn ich Schulrat gewesen wäre, hätte nach der Schulstunde zu dem armen, in seiner Scham und Todesangst genugsam abgestraften jungen Dinge gesagt: „Mein liebes Fräulein, wir wollen das zerreißen; das gehört nicht in Ihre Phantasie, noch weniger in Ihr Diarium.“ Und damit, meine ich, wäre es genug gewesen. Ich unterbreite die Geschichte nach Ablauf von mehr als vierzig Jahren dem Urteil der Pädagogen und denke, sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Methfessel, so weit diese Geschichte mitspricht, war ein Doktrinär und kein Menschenkenner. Oder aber – er wollte keiner sein.
Ich fürchte beinahe das letztere.
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/412>, abgerufen am 23.07.2024.
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