Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Juden, der in einer kleinen polnischen Stadt ein Geschäft treibt; der eine - der gute - hilft bloß so nebenher mit, hat aber doch schließlich den ganzen Vorteil von der Sache. Und nun ist ein Menschenalter und mehr darüber vergangen, und der, der nur so "nebenher mit geholfen", ist inzwischen ein reicher Berliner Bäcker geworden und hält achtundvierziger Volksreden. Da mit einem Male ist der andere auch da, ganz herunter gekommen, erkennt seinen Mitschuldigen von ehedem und weiß nun, "jetzt ist Dir geholfen". Aber der andere weiß es auch, weiß, daß es jetzt heißt "er oder ich", und in der klaren Erkenntnis davon stößt er den alten und morsch gewordenen Komplicen von der Brüstung eines hart an den Eisenbahnschienen gelegenen Gartenhauses hinunter, und zwar in demselben Augenblicke, wo der Zug heran braust. All dies ist mit einer wirklichen Vehemenz geschildert und derartig packend, daß ich, als ich fertig war, ausrief: "Klein-Zola". Viele Szenen hatten mich an "La bete humaine" erinnert.

Heinrich Smidt.

Von sehr andrem Gepräge war der, von dem ich jetzt erzählen will, Heinrich Smidt. Er führte den Beinamen der "deutsche Marryat", übrigens ohne von seinem Namenspaten - den Schauplatz

Juden, der in einer kleinen polnischen Stadt ein Geschäft treibt; der eine – der gute – hilft bloß so nebenher mit, hat aber doch schließlich den ganzen Vorteil von der Sache. Und nun ist ein Menschenalter und mehr darüber vergangen, und der, der nur so „nebenher mit geholfen“, ist inzwischen ein reicher Berliner Bäcker geworden und hält achtundvierziger Volksreden. Da mit einem Male ist der andere auch da, ganz herunter gekommen, erkennt seinen Mitschuldigen von ehedem und weiß nun, „jetzt ist Dir geholfen“. Aber der andere weiß es auch, weiß, daß es jetzt heißt „er oder ich“, und in der klaren Erkenntnis davon stößt er den alten und morsch gewordenen Komplicen von der Brüstung eines hart an den Eisenbahnschienen gelegenen Gartenhauses hinunter, und zwar in demselben Augenblicke, wo der Zug heran braust. All dies ist mit einer wirklichen Vehemenz geschildert und derartig packend, daß ich, als ich fertig war, ausrief: „Klein-Zola“. Viele Szenen hatten mich an „La bête humaine“ erinnert.

Heinrich Smidt.

Von sehr andrem Gepräge war der, von dem ich jetzt erzählen will, Heinrich Smidt. Er führte den Beinamen der „deutsche Marryat“, übrigens ohne von seinem Namenspaten – den Schauplatz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0391" n="382"/>
Juden, der in einer kleinen polnischen Stadt ein Geschäft treibt; der eine &#x2013; der gute &#x2013; hilft bloß so nebenher mit, hat aber doch schließlich den ganzen Vorteil von der Sache. Und nun ist ein Menschenalter und mehr darüber vergangen, und der, der nur so &#x201E;nebenher mit geholfen&#x201C;, ist inzwischen ein reicher Berliner Bäcker geworden und hält achtundvierziger Volksreden. Da mit einem Male ist der andere auch da, ganz herunter gekommen, erkennt seinen Mitschuldigen von ehedem und weiß nun, &#x201E;jetzt ist Dir geholfen&#x201C;. Aber der andere weiß es auch, weiß, daß es jetzt heißt &#x201E;er oder ich&#x201C;, und in der klaren Erkenntnis davon stößt er den alten und morsch gewordenen Komplicen von der Brüstung eines hart an den Eisenbahnschienen gelegenen Gartenhauses hinunter, und zwar in demselben Augenblicke, wo der Zug heran braust. All dies ist mit einer wirklichen Vehemenz geschildert und derartig packend, daß ich, als ich fertig war, ausrief: &#x201E;Klein-Zola&#x201C;. Viele Szenen hatten mich an <hi rendition="#aq">&#x201E;La bête humaine&#x201C;</hi> erinnert.</p><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b #c">Heinrich Smidt.</hi> </head>
            <p>Von sehr andrem Gepräge war <hi rendition="#g">der</hi>, von dem ich jetzt erzählen will, Heinrich Smidt. Er führte den Beinamen der &#x201E;deutsche Marryat&#x201C;, übrigens ohne von seinem Namenspaten &#x2013; den Schauplatz<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0391] Juden, der in einer kleinen polnischen Stadt ein Geschäft treibt; der eine – der gute – hilft bloß so nebenher mit, hat aber doch schließlich den ganzen Vorteil von der Sache. Und nun ist ein Menschenalter und mehr darüber vergangen, und der, der nur so „nebenher mit geholfen“, ist inzwischen ein reicher Berliner Bäcker geworden und hält achtundvierziger Volksreden. Da mit einem Male ist der andere auch da, ganz herunter gekommen, erkennt seinen Mitschuldigen von ehedem und weiß nun, „jetzt ist Dir geholfen“. Aber der andere weiß es auch, weiß, daß es jetzt heißt „er oder ich“, und in der klaren Erkenntnis davon stößt er den alten und morsch gewordenen Komplicen von der Brüstung eines hart an den Eisenbahnschienen gelegenen Gartenhauses hinunter, und zwar in demselben Augenblicke, wo der Zug heran braust. All dies ist mit einer wirklichen Vehemenz geschildert und derartig packend, daß ich, als ich fertig war, ausrief: „Klein-Zola“. Viele Szenen hatten mich an „La bête humaine“ erinnert. Heinrich Smidt.Von sehr andrem Gepräge war der, von dem ich jetzt erzählen will, Heinrich Smidt. Er führte den Beinamen der „deutsche Marryat“, übrigens ohne von seinem Namenspaten – den Schauplatz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/391
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/391>, abgerufen am 23.11.2024.