Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Erotikern eigene Zug, den von ihnen applizierten Kuß, er sei wie er sei, immer als einen "Kuß von oben", den Kuß ihrer lyrischen oder novellistischen Konkurrenten aber immer als einen Kuß aus der entgegengesetzten Richtung anzusehen. Sie schlagen mit ihrem "Bauer, dat's wat anners" selbst den vollwichtigsten Agrarier aus dem Felde. Zu dieser Gruppe der Weihekußmonopolisten gehörte nun Storm im höchsten Maße, trotzdem er Dinge geschrieben und Situationen geschildert hat, die mir viel bedenklicher erscheinen wollen, als beispielsweise Heines berühmte Schilderung von einer dekolletiert auf einem Ball erscheinenden Embonpoint-Madame, hinsichtlich deren er versicherte, "nicht nur das rote Meer, sondern auch noch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien" gesehen zu haben. Solche Verquickung von Uebermut und Komik hebt Schilderungen der Art, in meinen Augen wenigstens, auf eine künstlerische Hochstufe, neben der die sauberthuenden Wendungen der angeblichen Unschuldserotiker auch moralisch versinken. Ich traf in jenen zweiundsechziger Tagen Storm meist im Zöllner'schen Hause, das, in Bezug auf Gastlichkeit, die Kugler-Merckel'sche Erbschaft angetreten hatte; noch öfter aber flanierten wir in der Stadt umher, und an einem mir lebhaft in Erinnerung gebliebenen Tage machten wir einen Erotikern eigene Zug, den von ihnen applizierten Kuß, er sei wie er sei, immer als einen „Kuß von oben“, den Kuß ihrer lyrischen oder novellistischen Konkurrenten aber immer als einen Kuß aus der entgegengesetzten Richtung anzusehen. Sie schlagen mit ihrem „Bauer, dat’s wat anners“ selbst den vollwichtigsten Agrarier aus dem Felde. Zu dieser Gruppe der Weihekußmonopolisten gehörte nun Storm im höchsten Maße, trotzdem er Dinge geschrieben und Situationen geschildert hat, die mir viel bedenklicher erscheinen wollen, als beispielsweise Heines berühmte Schilderung von einer dekolletiert auf einem Ball erscheinenden Embonpoint-Madame, hinsichtlich deren er versicherte, „nicht nur das rote Meer, sondern auch noch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien“ gesehen zu haben. Solche Verquickung von Uebermut und Komik hebt Schilderungen der Art, in meinen Augen wenigstens, auf eine künstlerische Hochstufe, neben der die sauberthuenden Wendungen der angeblichen Unschuldserotiker auch moralisch versinken. Ich traf in jenen zweiundsechziger Tagen Storm meist im Zöllner’schen Hause, das, in Bezug auf Gastlichkeit, die Kugler-Merckel’sche Erbschaft angetreten hatte; noch öfter aber flanierten wir in der Stadt umher, und an einem mir lebhaft in Erinnerung gebliebenen Tage machten wir einen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0375" n="366"/> Erotikern eigene Zug, den von <hi rendition="#g">ihnen</hi> applizierten Kuß, er sei wie er sei, immer als einen „Kuß von oben“, den Kuß ihrer lyrischen oder novellistischen Konkurrenten aber immer als einen Kuß aus der entgegengesetzten Richtung anzusehen. Sie schlagen mit ihrem „Bauer, dat’s wat anners“ selbst den vollwichtigsten Agrarier aus dem Felde. Zu dieser Gruppe der Weihekußmonopolisten gehörte nun Storm im höchsten Maße, trotzdem er Dinge <choice><sic>gefchrieben</sic><corr>geschrieben</corr></choice> und Situationen geschildert hat, die mir viel bedenklicher erscheinen wollen, als beispielsweise Heines berühmte Schilderung von einer dekolletiert auf einem Ball erscheinenden Embonpoint-Madame, hinsichtlich deren er versicherte, „nicht nur das rote Meer, sondern auch noch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien“ gesehen zu haben. Solche Verquickung von Uebermut und Komik hebt Schilderungen der Art, in meinen Augen wenigstens, auf eine künstlerische Hochstufe, neben der die sauberthuenden Wendungen der angeblichen Unschuldserotiker auch moralisch versinken.</p><lb/> <p>Ich traf in jenen zweiundsechziger Tagen Storm meist im Zöllner’schen Hause, das, in Bezug auf Gastlichkeit, die Kugler-Merckel’sche Erbschaft angetreten hatte; noch öfter aber flanierten wir in der Stadt umher, und an einem mir lebhaft in Erinnerung gebliebenen Tage machten wir einen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [366/0375]
Erotikern eigene Zug, den von ihnen applizierten Kuß, er sei wie er sei, immer als einen „Kuß von oben“, den Kuß ihrer lyrischen oder novellistischen Konkurrenten aber immer als einen Kuß aus der entgegengesetzten Richtung anzusehen. Sie schlagen mit ihrem „Bauer, dat’s wat anners“ selbst den vollwichtigsten Agrarier aus dem Felde. Zu dieser Gruppe der Weihekußmonopolisten gehörte nun Storm im höchsten Maße, trotzdem er Dinge geschrieben und Situationen geschildert hat, die mir viel bedenklicher erscheinen wollen, als beispielsweise Heines berühmte Schilderung von einer dekolletiert auf einem Ball erscheinenden Embonpoint-Madame, hinsichtlich deren er versicherte, „nicht nur das rote Meer, sondern auch noch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien“ gesehen zu haben. Solche Verquickung von Uebermut und Komik hebt Schilderungen der Art, in meinen Augen wenigstens, auf eine künstlerische Hochstufe, neben der die sauberthuenden Wendungen der angeblichen Unschuldserotiker auch moralisch versinken.
Ich traf in jenen zweiundsechziger Tagen Storm meist im Zöllner’schen Hause, das, in Bezug auf Gastlichkeit, die Kugler-Merckel’sche Erbschaft angetreten hatte; noch öfter aber flanierten wir in der Stadt umher, und an einem mir lebhaft in Erinnerung gebliebenen Tage machten wir einen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |