die nun einmal alles Storm'sche begleiteten und ein Resultat seines weltfremden Lebens und eines gewissen Jean Paulismus waren. Es wird von Jean Paul erzählt, daß er sich, einmal auf Besuch in Berlin, in einer größeren Gesellschaft ins "Kartoffelschälen auf Vorrat" vertieft habe, was dann schließlich bei dem inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können, oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Aehnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: "Thut man das?" oder: "Ist das convenable?" nur mit der Frage zu beschäftigen: "Entspricht das Vossens Luise oder dem redlichen Thamm oder irgend einer Szene aus Mörikes ,Maler Nolten' oder aus Arnims ,Kronenwächtern'?" Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiter ging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch ich kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zu Grunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich
die nun einmal alles Storm’sche begleiteten und ein Resultat seines weltfremden Lebens und eines gewissen Jean Paulismus waren. Es wird von Jean Paul erzählt, daß er sich, einmal auf Besuch in Berlin, in einer größeren Gesellschaft ins „Kartoffelschälen auf Vorrat“ vertieft habe, was dann schließlich bei dem inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können, oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Aehnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: „Thut man das?“ oder: „Ist das convenable?“ nur mit der Frage zu beschäftigen: „Entspricht das Vossens Luise oder dem redlichen Thamm oder irgend einer Szene aus Mörikes ‚Maler Nolten‘ oder aus Arnims ‚Kronenwächtern‘?“ Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiter ging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch ich kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zu Grunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich
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die nun einmal alles Storm’sche begleiteten und ein Resultat seines weltfremden Lebens und eines gewissen Jean Paulismus waren. Es wird von Jean Paul erzählt, daß er sich, einmal auf Besuch in Berlin, in einer größeren Gesellschaft ins „Kartoffelschälen auf Vorrat“ vertieft habe, was dann schließlich bei dem inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können, oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Aehnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: „Thut man das?“ oder: „Ist das <hirendition="#aq">convenable</hi>?“ nur mit der Frage zu beschäftigen: „Entspricht das Vossens Luise oder dem redlichen Thamm oder irgend einer Szene aus Mörikes <choice><sic>„Maler Nolten“</sic><corr>‚Maler Nolten‘</corr></choice> oder aus Arnims ‚Kronenwächtern‘?<choice><sic/><corr>“</corr></choice> Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiter ging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch <hirendition="#g">ich</hi> kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zu Grunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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die nun einmal alles Storm’sche begleiteten und ein Resultat seines weltfremden Lebens und eines gewissen Jean Paulismus waren. Es wird von Jean Paul erzählt, daß er sich, einmal auf Besuch in Berlin, in einer größeren Gesellschaft ins „Kartoffelschälen auf Vorrat“ vertieft habe, was dann schließlich bei dem inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können, oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Aehnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: „Thut man das?“ oder: „Ist das convenable?“ nur mit der Frage zu beschäftigen: „Entspricht das Vossens Luise oder dem redlichen Thamm oder irgend einer Szene aus Mörikes ‚Maler Nolten‘ oder aus Arnims ‚Kronenwächtern‘?“ Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiter ging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch ich kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zu Grunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/369>, abgerufen am 16.02.2025.
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