Sie, lieber Geheimrat, da haben wir als bestes das Bibliotheksgebäude, - das einzige Stück Berliner Architektur, das mir gefällt." Lucae seinerseits mochte dem nicht zustimmen und antwortete: "Die Berliner nennen es die ,Kommode'." - "So, so," sagte die Kronprinzessin und nahm nicht wieder Veranlassung, seinen baulichen Beirat einzuziehen.
So ging es ihm, wenn er zu Hofe befohlen war; aber weit darüber hinaus erwies er sich auf Reisen als ein Pechvogel ersten Ranges. Friedfertig von Natur, wie schon angedeutet, und viel zu fein, um ein Krakehler zu sein, sah er sich doch, sowie er aus Berlin heraus war, beständig in Streitigkeiten und Aergernisse hinein gezogen, oft recht unangenehmer Art. Einmal war er in einem Schweizer Hotel unter vielen Engländern und hatte sich in die Lesehalle begeben, um ein paar Berliner Zeitungen durchzusehen. Auf den Flur hinaus führte eine Glasthür mit einer riesigen Spiegelscheibe; die Thür stand auf, die Fenster natürlich auch, und es zog kannibalisch. Lucae schloß die Thür. Ein alter Engländer mit Kotelettbart und rot unterlaufenen Augen erhob sich sofort und riß die Thür mit Ostentation wieder auf. Lucae schloß sie wieder. Als sich dies zum dritten Male wiederholte, nahm der Engländer einen am Kamin liegenden Poker und stieß die Spiegelscheibe
Sie, lieber Geheimrat, da haben wir als bestes das Bibliotheksgebäude, – das einzige Stück Berliner Architektur, das mir gefällt.“ Lucae seinerseits mochte dem nicht zustimmen und antwortete: „Die Berliner nennen es die ‚Kommode‘.“ – „So, so,“ sagte die Kronprinzessin und nahm nicht wieder Veranlassung, seinen baulichen Beirat einzuziehen.
So ging es ihm, wenn er zu Hofe befohlen war; aber weit darüber hinaus erwies er sich auf Reisen als ein Pechvogel ersten Ranges. Friedfertig von Natur, wie schon angedeutet, und viel zu fein, um ein Krakehler zu sein, sah er sich doch, sowie er aus Berlin heraus war, beständig in Streitigkeiten und Aergernisse hinein gezogen, oft recht unangenehmer Art. Einmal war er in einem Schweizer Hotel unter vielen Engländern und hatte sich in die Lesehalle begeben, um ein paar Berliner Zeitungen durchzusehen. Auf den Flur hinaus führte eine Glasthür mit einer riesigen Spiegelscheibe; die Thür stand auf, die Fenster natürlich auch, und es zog kannibalisch. Lucae schloß die Thür. Ein alter Engländer mit Kotelettbart und rot unterlaufenen Augen erhob sich sofort und riß die Thür mit Ostentation wieder auf. Lucae schloß sie wieder. Als sich dies zum dritten Male wiederholte, nahm der Engländer einen am Kamin liegenden Poker und stieß die Spiegelscheibe
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Sie, lieber Geheimrat, da haben wir als bestes das Bibliotheksgebäude, – das einzige Stück Berliner Architektur, das <hirendition="#g">mir</hi> gefällt.“ Lucae seinerseits mochte dem nicht zustimmen und antwortete: „Die Berliner nennen es die ‚Kommode‘.“–„So, so,“ sagte die Kronprinzessin und nahm nicht wieder Veranlassung, seinen baulichen Beirat einzuziehen.</p><lb/><p>So ging es ihm, wenn er zu Hofe befohlen war; aber weit darüber hinaus erwies er sich auf Reisen als ein Pechvogel ersten Ranges. Friedfertig von Natur, wie schon angedeutet, und viel zu fein, um ein Krakehler zu sein, sah er sich doch, sowie er aus Berlin heraus war, beständig in Streitigkeiten und Aergernisse hinein gezogen, oft recht unangenehmer Art. Einmal war er in einem Schweizer Hotel unter vielen Engländern und hatte sich in die Lesehalle begeben, um ein paar Berliner Zeitungen durchzusehen. Auf den Flur hinaus führte eine Glasthür mit einer riesigen Spiegelscheibe; die Thür stand auf, die Fenster natürlich auch, und es zog kannibalisch. Lucae schloß die Thür. Ein alter Engländer mit Kotelettbart und rot unterlaufenen Augen erhob sich sofort und riß die Thür mit Ostentation wieder auf. Lucae schloß sie wieder. Als sich dies zum dritten Male wiederholte, nahm der Engländer einen am Kamin liegenden Poker und stieß die Spiegelscheibe<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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Sie, lieber Geheimrat, da haben wir als bestes das Bibliotheksgebäude, – das einzige Stück Berliner Architektur, das mir gefällt.“ Lucae seinerseits mochte dem nicht zustimmen und antwortete: „Die Berliner nennen es die ‚Kommode‘.“ – „So, so,“ sagte die Kronprinzessin und nahm nicht wieder Veranlassung, seinen baulichen Beirat einzuziehen.
So ging es ihm, wenn er zu Hofe befohlen war; aber weit darüber hinaus erwies er sich auf Reisen als ein Pechvogel ersten Ranges. Friedfertig von Natur, wie schon angedeutet, und viel zu fein, um ein Krakehler zu sein, sah er sich doch, sowie er aus Berlin heraus war, beständig in Streitigkeiten und Aergernisse hinein gezogen, oft recht unangenehmer Art. Einmal war er in einem Schweizer Hotel unter vielen Engländern und hatte sich in die Lesehalle begeben, um ein paar Berliner Zeitungen durchzusehen. Auf den Flur hinaus führte eine Glasthür mit einer riesigen Spiegelscheibe; die Thür stand auf, die Fenster natürlich auch, und es zog kannibalisch. Lucae schloß die Thür. Ein alter Engländer mit Kotelettbart und rot unterlaufenen Augen erhob sich sofort und riß die Thür mit Ostentation wieder auf. Lucae schloß sie wieder. Als sich dies zum dritten Male wiederholte, nahm der Engländer einen am Kamin liegenden Poker und stieß die Spiegelscheibe
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/334>, abgerufen am 23.07.2024.
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