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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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Betreffende mit seiner Improvisation den Vogel abschießen. Denn in solchen Ausnahmefällen erhebt sich das Bummlige zum Natürlichen und stattet nun das bloß Hingeworfene mit einem naiven oder auch mit jenem Inspirationszauber aus, den das bloß Kunstvolle nie hat. Und zu solchem Ausnahmefalle brachte es Eggers, als er, auf eine kleine Zeitungsnotiz gestützt, in einer Winternacht 1871 sein Gedicht schrieb "Die Fahne vom 61. Regiment".

Es lautet:

Wo ist die Fahne geblieben
Vom einundsechzigsten Regiment?
Im Kampf umher getrieben
Wo er am allerschwülsten brennt.
Kaum war der Streit entglommen,
Sie wehte straff, sie wehte hoch,
Die Wogen geh'n und kommen,
Und immer steht sie noch.
Ihr habt sie sehen sinken,
Doch sich erheben bald darauf
Und immer wieder winken -
Zuletzt da stand sie nicht mehr auf.
"Wo ist sie hingekommen,
Barg sie der Feind in seinem Zelt?"
Er hat sie nicht genommen,
Er fand sie auf dem Feld.
Sie war zerfetzt, zerschossen,
Die Stange gebrochen und angebrannt,
So gaben sie die Genossen
Von sterbender Hand zu sterbender Hand.

Betreffende mit seiner Improvisation den Vogel abschießen. Denn in solchen Ausnahmefällen erhebt sich das Bummlige zum Natürlichen und stattet nun das bloß Hingeworfene mit einem naiven oder auch mit jenem Inspirationszauber aus, den das bloß Kunstvolle nie hat. Und zu solchem Ausnahmefalle brachte es Eggers, als er, auf eine kleine Zeitungsnotiz gestützt, in einer Winternacht 1871 sein Gedicht schrieb „Die Fahne vom 61. Regiment“.

Es lautet:

Wo ist die Fahne geblieben
Vom einundsechzigsten Regiment?
Im Kampf umher getrieben
Wo er am allerschwülsten brennt.
Kaum war der Streit entglommen,
Sie wehte straff, sie wehte hoch,
Die Wogen geh’n und kommen,
Und immer steht sie noch.
Ihr habt sie sehen sinken,
Doch sich erheben bald darauf
Und immer wieder winken –
Zuletzt da stand sie nicht mehr auf.
„Wo ist sie hingekommen,
Barg sie der Feind in seinem Zelt?“
Er hat sie nicht genommen,
Er fand sie auf dem Feld.
Sie war zerfetzt, zerschossen,
Die Stange gebrochen und angebrannt,
So gaben sie die Genossen
Von sterbender Hand zu sterbender Hand.
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[315/0324] Betreffende mit seiner Improvisation den Vogel abschießen. Denn in solchen Ausnahmefällen erhebt sich das Bummlige zum Natürlichen und stattet nun das bloß Hingeworfene mit einem naiven oder auch mit jenem Inspirationszauber aus, den das bloß Kunstvolle nie hat. Und zu solchem Ausnahmefalle brachte es Eggers, als er, auf eine kleine Zeitungsnotiz gestützt, in einer Winternacht 1871 sein Gedicht schrieb „Die Fahne vom 61. Regiment“. Es lautet: Wo ist die Fahne geblieben Vom einundsechzigsten Regiment? Im Kampf umher getrieben Wo er am allerschwülsten brennt. Kaum war der Streit entglommen, Sie wehte straff, sie wehte hoch, Die Wogen geh’n und kommen, Und immer steht sie noch. Ihr habt sie sehen sinken, Doch sich erheben bald darauf Und immer wieder winken – Zuletzt da stand sie nicht mehr auf. „Wo ist sie hingekommen, Barg sie der Feind in seinem Zelt?“ Er hat sie nicht genommen, Er fand sie auf dem Feld. Sie war zerfetzt, zerschossen, Die Stange gebrochen und angebrannt, So gaben sie die Genossen Von sterbender Hand zu sterbender Hand.

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Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

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Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/324>, abgerufen am 23.07.2024.