Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Gesamttitel: "Venedig" führen und das Letzte sind, was er geschrieben hat, im Tunnel zum Vortrag. Die fortdauernde Begeisterung für ihn äußerte sich auch darin, daß viel aus ihm zitiert wurde, was mir alsbald die Verpflichtung auferlegte, mich ebenfalls mit seinen mir bis dahin fremd gebliebenen Sachen bekannt zu machen. Ich lernte denn auch "Nun grüße Dich Gott, Frau Minne", den "Gefangenen Admiral", die "Jagd des Moguls" etc. auswendig und war bald einer der Eifrigsten in der Strachwitz-Gemeinde. Daß ich - wie mir's sonst wohl mit meinen litterarischen Jugendlieben geht - bei diesem Eifer ausgedauert hätte, kann ich freilich nicht sagen. Ich hielt etwa zwanzig Jahre lang enthusiastisch daran fest, aber seit etwa einem Menschenalter ist mir der Sinn für das Strachwitzische doch mehr oder weniger verloren gegangen. Es ist alles sehr talentvoll und besonders sehr klangvoll, aber zugleich tritt es doch zu pausbackig auf und hat viel weniger von Originalität, als es mir vordem erschien. Es ist alles virtuos Freiligrathisch gehalten, noch mehr aber darf man ihn einen auf die Kehrseite gefallenen Herwegh nennen. Was Herwegh demokratisch vorsang, sang Strachwitz aristokratisch nach. Der Grundton, natürlich nur auf das rein Dichterische hin angesehen, ist sehr verwandt. Gesamttitel: „Venedig“ führen und das Letzte sind, was er geschrieben hat, im Tunnel zum Vortrag. Die fortdauernde Begeisterung für ihn äußerte sich auch darin, daß viel aus ihm zitiert wurde, was mir alsbald die Verpflichtung auferlegte, mich ebenfalls mit seinen mir bis dahin fremd gebliebenen Sachen bekannt zu machen. Ich lernte denn auch „Nun grüße Dich Gott, Frau Minne“, den „Gefangenen Admiral“, die „Jagd des Moguls“ etc. auswendig und war bald einer der Eifrigsten in der Strachwitz-Gemeinde. Daß ich – wie mir’s sonst wohl mit meinen litterarischen Jugendlieben geht – bei diesem Eifer ausgedauert hätte, kann ich freilich nicht sagen. Ich hielt etwa zwanzig Jahre lang enthusiastisch daran fest, aber seit etwa einem Menschenalter ist mir der Sinn für das Strachwitzische doch mehr oder weniger verloren gegangen. Es ist alles sehr talentvoll und besonders sehr klangvoll, aber zugleich tritt es doch zu pausbackig auf und hat viel weniger von Originalität, als es mir vordem erschien. Es ist alles virtuos Freiligrathisch gehalten, noch mehr aber darf man ihn einen auf die Kehrseite gefallenen Herwegh nennen. Was Herwegh demokratisch vorsang, sang Strachwitz aristokratisch nach. Der Grundton, natürlich nur auf das rein Dichterische hin angesehen, ist sehr verwandt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0296" n="287"/> Gesamttitel: „<hi rendition="#g">Venedig</hi>“ führen und das Letzte sind, was er geschrieben hat, im Tunnel zum Vortrag.</p><lb/> <p>Die fortdauernde Begeisterung für ihn äußerte sich auch darin, daß viel aus ihm zitiert wurde, was mir alsbald die Verpflichtung auferlegte, mich ebenfalls mit seinen mir bis dahin fremd gebliebenen Sachen bekannt zu machen. Ich lernte denn auch „Nun grüße Dich Gott, Frau Minne“, den „Gefangenen Admiral“, die „Jagd des Moguls“ etc. auswendig und war bald einer der Eifrigsten in der Strachwitz-Gemeinde. Daß ich – wie mir’s sonst wohl mit meinen litterarischen Jugendlieben geht – bei diesem Eifer ausgedauert hätte, kann ich freilich nicht sagen. Ich hielt etwa zwanzig Jahre lang enthusiastisch daran fest, aber seit etwa einem Menschenalter ist mir der Sinn für das Strachwitzische doch mehr oder weniger verloren gegangen. Es ist alles sehr talentvoll und besonders sehr klangvoll, aber zugleich tritt es doch zu pausbackig auf und hat viel weniger von Originalität, als es mir vordem erschien. Es ist alles virtuos Freiligrathisch gehalten, noch mehr aber darf man ihn einen auf die Kehrseite gefallenen Herwegh nennen. Was Herwegh demokratisch vorsang, sang Strachwitz aristokratisch nach. Der Grundton, natürlich nur auf das rein Dichterische hin angesehen, ist sehr verwandt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0296]
Gesamttitel: „Venedig“ führen und das Letzte sind, was er geschrieben hat, im Tunnel zum Vortrag.
Die fortdauernde Begeisterung für ihn äußerte sich auch darin, daß viel aus ihm zitiert wurde, was mir alsbald die Verpflichtung auferlegte, mich ebenfalls mit seinen mir bis dahin fremd gebliebenen Sachen bekannt zu machen. Ich lernte denn auch „Nun grüße Dich Gott, Frau Minne“, den „Gefangenen Admiral“, die „Jagd des Moguls“ etc. auswendig und war bald einer der Eifrigsten in der Strachwitz-Gemeinde. Daß ich – wie mir’s sonst wohl mit meinen litterarischen Jugendlieben geht – bei diesem Eifer ausgedauert hätte, kann ich freilich nicht sagen. Ich hielt etwa zwanzig Jahre lang enthusiastisch daran fest, aber seit etwa einem Menschenalter ist mir der Sinn für das Strachwitzische doch mehr oder weniger verloren gegangen. Es ist alles sehr talentvoll und besonders sehr klangvoll, aber zugleich tritt es doch zu pausbackig auf und hat viel weniger von Originalität, als es mir vordem erschien. Es ist alles virtuos Freiligrathisch gehalten, noch mehr aber darf man ihn einen auf die Kehrseite gefallenen Herwegh nennen. Was Herwegh demokratisch vorsang, sang Strachwitz aristokratisch nach. Der Grundton, natürlich nur auf das rein Dichterische hin angesehen, ist sehr verwandt.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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