Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.die beinah freundschaftlich miteinander verkehrten. Sie zogen mich mit ins Gespräch und amüsierten sich, ich muß das hier sagen, über die Geschicklichkeit, mit der ich mich, ohne recht englisch sprechen zu können, doch durchradebrechte. Besonders einer, ein stattlicher Herr von etwa fünfzig, nahm sichtlich ein Interesse daran, und ehe wir aufstanden, lud er mich ein, ihn auf seine Landvilla zu begleiten. "Sie sind morgen zu guter Zeit wieder hier." Ich hatte denn auch keine Bedenken. Es war halber Weg nach Brighton - ich glaube, der Platz hieß Annerley-Station - und in einer guten halben Stunde, es mochte mittlerweile sieben geworden sein, waren wir da. Von der Station bis zur Villa waren keine dreihundert Schritt. In dem drawing-room fand ich die Familie versammelt und wurde vorgestellt. Keine Spur von Verlegenheit war wahrzunehmen, nichts von Wirtschaftsschreck. In unserem guten Berlin, wenn solcher Ueberfall stattfindet, ist es, innerhalb der gesellschaftlichen Mittelsphäre, nur ganz Wenigen gegeben, Contenance zu bewahren. Man wolle dies nicht auf die beständig als Entschuldigung geltend gemachten "Verhältnisse" schieben, - so schlimm liegen diese "Verhältnisse" nicht mehr; wir sind nur einfach, in Bezug auf alles, was Repräsentation angeht, schlechter erzogen und haben nicht Lust, uns die beinah freundschaftlich miteinander verkehrten. Sie zogen mich mit ins Gespräch und amüsierten sich, ich muß das hier sagen, über die Geschicklichkeit, mit der ich mich, ohne recht englisch sprechen zu können, doch durchradebrechte. Besonders einer, ein stattlicher Herr von etwa fünfzig, nahm sichtlich ein Interesse daran, und ehe wir aufstanden, lud er mich ein, ihn auf seine Landvilla zu begleiten. „Sie sind morgen zu guter Zeit wieder hier.“ Ich hatte denn auch keine Bedenken. Es war halber Weg nach Brighton – ich glaube, der Platz hieß Annerley-Station – und in einer guten halben Stunde, es mochte mittlerweile sieben geworden sein, waren wir da. Von der Station bis zur Villa waren keine dreihundert Schritt. In dem drawing-room fand ich die Familie versammelt und wurde vorgestellt. Keine Spur von Verlegenheit war wahrzunehmen, nichts von Wirtschaftsschreck. In unserem guten Berlin, wenn solcher Ueberfall stattfindet, ist es, innerhalb der gesellschaftlichen Mittelsphäre, nur ganz Wenigen gegeben, Contenance zu bewahren. Man wolle dies nicht auf die beständig als Entschuldigung geltend gemachten „Verhältnisse“ schieben, – so schlimm liegen diese „Verhältnisse“ nicht mehr; wir sind nur einfach, in Bezug auf alles, was Repräsentation angeht, schlechter erzogen und haben nicht Lust, uns <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0246" n="237"/> die beinah freundschaftlich miteinander verkehrten. Sie zogen mich mit ins Gespräch und amüsierten sich, ich muß das hier sagen, über die Geschicklichkeit, mit der ich mich, ohne recht englisch sprechen zu können, doch durchradebrechte. Besonders einer, ein stattlicher Herr von etwa fünfzig, nahm sichtlich ein Interesse daran, und ehe wir aufstanden, lud er mich ein, ihn auf seine Landvilla zu begleiten. „Sie sind morgen zu guter Zeit wieder hier.“ Ich hatte denn auch keine Bedenken. Es war halber Weg nach Brighton – ich glaube, der Platz hieß Annerley-Station – und in einer guten halben Stunde, es mochte mittlerweile sieben geworden sein, waren wir da. Von der Station bis zur Villa waren keine dreihundert Schritt. In dem <hi rendition="#aq">drawing-room</hi> fand ich die Familie versammelt und wurde vorgestellt. Keine Spur von Verlegenheit war wahrzunehmen, nichts von Wirtschaftsschreck. In unserem guten Berlin, wenn solcher Ueberfall stattfindet, ist es, innerhalb der gesellschaftlichen Mittelsphäre, nur ganz Wenigen gegeben, Contenance zu bewahren. Man wolle dies nicht auf die beständig als Entschuldigung geltend gemachten „Verhältnisse“ schieben, – <hi rendition="#g">so</hi> schlimm liegen diese „Verhältnisse“ nicht mehr; wir sind nur einfach, in Bezug auf alles, was Repräsentation angeht, schlechter erzogen und haben nicht Lust, uns<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0246]
die beinah freundschaftlich miteinander verkehrten. Sie zogen mich mit ins Gespräch und amüsierten sich, ich muß das hier sagen, über die Geschicklichkeit, mit der ich mich, ohne recht englisch sprechen zu können, doch durchradebrechte. Besonders einer, ein stattlicher Herr von etwa fünfzig, nahm sichtlich ein Interesse daran, und ehe wir aufstanden, lud er mich ein, ihn auf seine Landvilla zu begleiten. „Sie sind morgen zu guter Zeit wieder hier.“ Ich hatte denn auch keine Bedenken. Es war halber Weg nach Brighton – ich glaube, der Platz hieß Annerley-Station – und in einer guten halben Stunde, es mochte mittlerweile sieben geworden sein, waren wir da. Von der Station bis zur Villa waren keine dreihundert Schritt. In dem drawing-room fand ich die Familie versammelt und wurde vorgestellt. Keine Spur von Verlegenheit war wahrzunehmen, nichts von Wirtschaftsschreck. In unserem guten Berlin, wenn solcher Ueberfall stattfindet, ist es, innerhalb der gesellschaftlichen Mittelsphäre, nur ganz Wenigen gegeben, Contenance zu bewahren. Man wolle dies nicht auf die beständig als Entschuldigung geltend gemachten „Verhältnisse“ schieben, – so schlimm liegen diese „Verhältnisse“ nicht mehr; wir sind nur einfach, in Bezug auf alles, was Repräsentation angeht, schlechter erzogen und haben nicht Lust, uns
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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