Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.lich abspielte. Die Fensterwand war so tief, daß sie fast eine Nische bildete, drin kleine Landschaften von Bönisch hingen, überhaupt Bilder und Skizzen, die befreundete Maler der jungen Frau zum Geschenk gemacht hatten. In eben dieser Nische saß sie auch selber an ihrem Nähtisch, den Kopf, wie eine Neapolitanerin, immer in ein mit goldnen Nadeln umstecktes Spitzentuch gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Zimmers aber stand das Klavier und hier, in den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus tagein und sang seine Figaro-Arien zum hundertsten Male, dann und wann eine Kußhand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel - der natürlich auch Figaro hieß - durch den gekrümmten Arm springen zu lassen. Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldnen Nadeln und nach "Figaro", der eben wieder durchsprang und glaubte an die beste der Welten. Anderthalb Jahre ging es mir in meiner Onkel August-Pension durchaus gut, zu gut, denn ich lebte da ganz nach meinem Belieben. Als aber Ostern fünfunddreißig heran war, verließen wir - und lich abspielte. Die Fensterwand war so tief, daß sie fast eine Nische bildete, drin kleine Landschaften von Bönisch hingen, überhaupt Bilder und Skizzen, die befreundete Maler der jungen Frau zum Geschenk gemacht hatten. In eben dieser Nische saß sie auch selber an ihrem Nähtisch, den Kopf, wie eine Neapolitanerin, immer in ein mit goldnen Nadeln umstecktes Spitzentuch gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Zimmers aber stand das Klavier und hier, in den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus tagein und sang seine Figaro-Arien zum hundertsten Male, dann und wann eine Kußhand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel – der natürlich auch Figaro hieß – durch den gekrümmten Arm springen zu lassen. Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldnen Nadeln und nach „Figaro“, der eben wieder durchsprang und glaubte an die beste der Welten. Anderthalb Jahre ging es mir in meiner Onkel August-Pension durchaus gut, zu gut, denn ich lebte da ganz nach meinem Belieben. Als aber Ostern fünfunddreißig heran war, verließen wir – und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0195" n="186"/> lich abspielte. Die Fensterwand war so tief, daß sie fast eine Nische bildete, drin kleine Landschaften von Bönisch hingen, überhaupt Bilder und Skizzen, die befreundete Maler der jungen Frau zum Geschenk gemacht hatten. In eben dieser Nische saß sie auch selber an ihrem Nähtisch, den Kopf, wie eine Neapolitanerin, immer in ein mit goldnen Nadeln umstecktes Spitzentuch gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Zimmers aber stand das Klavier und hier, in den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus tagein und sang seine Figaro-Arien zum hundertsten Male, dann und wann eine Kußhand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel – der natürlich auch Figaro hieß – durch den gekrümmten Arm springen zu lassen.</p><lb/> <p>Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldnen Nadeln und nach „Figaro“, der eben wieder durchsprang und glaubte an die beste der Welten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Anderthalb Jahre ging es mir in meiner Onkel August-Pension durchaus gut, zu gut, denn ich lebte da ganz nach meinem Belieben. Als aber Ostern fünfunddreißig heran war, verließen wir – und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0195]
lich abspielte. Die Fensterwand war so tief, daß sie fast eine Nische bildete, drin kleine Landschaften von Bönisch hingen, überhaupt Bilder und Skizzen, die befreundete Maler der jungen Frau zum Geschenk gemacht hatten. In eben dieser Nische saß sie auch selber an ihrem Nähtisch, den Kopf, wie eine Neapolitanerin, immer in ein mit goldnen Nadeln umstecktes Spitzentuch gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Zimmers aber stand das Klavier und hier, in den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus tagein und sang seine Figaro-Arien zum hundertsten Male, dann und wann eine Kußhand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel – der natürlich auch Figaro hieß – durch den gekrümmten Arm springen zu lassen.
Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldnen Nadeln und nach „Figaro“, der eben wieder durchsprang und glaubte an die beste der Welten.
Anderthalb Jahre ging es mir in meiner Onkel August-Pension durchaus gut, zu gut, denn ich lebte da ganz nach meinem Belieben. Als aber Ostern fünfunddreißig heran war, verließen wir – und
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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