die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: "Das nimm mit; Du kannst hundert Jahre warten, ehe Dir russische Litteratur wieder so auf dem Präsentierbrett entgegengebracht wird." Ich ging in meinem Feuereifer so weit, daß ich sogar russisch bei ihm lernen wollte. Doch schon in der zweiten Unterrichtsstunde war seine Geduld erschöpft und er sagte mir: "Gieb's nur wieder auf; Du lernst es doch nicht." So ist es mir mit einem halben Dutzend Sprachen ergangen: italienisch, dänisch, vlämisch, wendisch - immer wenn ich mir ein Lexikon und eine Grammatik gekauft hatte, war es wieder vorbei. Was ich beklage. Denn es ist unglaublich, wie viel Vorteile man von jedem kleinsten Wissen hat, ganz besonders auch auf diesem Gebiete.
Also mit der russischen Sprache war es nichts; in Bezug auf russische Litteratur jedoch ließ ich nicht wieder los und vom alten Derschawin an, über Karamsin und Schukowski fort, zogen Puschkin, Lermontow, Pawlow, Gogol an mir vorüber. Ein ganz Teil von dem, was mir Wolfsohn damals vortrug, ist sitzen geblieben, am meisten von den drei letztgenannten - Lermontow war mein besonderer Liebling - und so sehr alles nur ein Kosthäppchen
die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: „Das nimm mit; Du kannst hundert Jahre warten, ehe Dir russische Litteratur wieder so auf dem Präsentierbrett entgegengebracht wird.“ Ich ging in meinem Feuereifer so weit, daß ich sogar russisch bei ihm lernen wollte. Doch schon in der zweiten Unterrichtsstunde war seine Geduld erschöpft und er sagte mir: „Gieb’s nur wieder auf; Du lernst es doch nicht.“ So ist es mir mit einem halben Dutzend Sprachen ergangen: italienisch, dänisch, vlämisch, wendisch – immer wenn ich mir ein Lexikon und eine Grammatik gekauft hatte, war es wieder vorbei. Was ich beklage. Denn es ist unglaublich, wie viel Vorteile man von jedem kleinsten Wissen hat, ganz besonders auch auf diesem Gebiete.
Also mit der russischen Sprache war es nichts; in Bezug auf russische Litteratur jedoch ließ ich nicht wieder los und vom alten Derschawin an, über Karamsin und Schukowski fort, zogen Puschkin, Lermontow, Pawlow, Gogol an mir vorüber. Ein ganz Teil von dem, was mir Wolfsohn damals vortrug, ist sitzen geblieben, am meisten von den drei letztgenannten – Lermontow war mein besonderer Liebling – und so sehr alles nur ein Kosthäppchen
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die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: „Das nimm mit; Du kannst hundert Jahre warten, ehe Dir russische Litteratur wieder so auf dem Präsentierbrett entgegengebracht wird.“ Ich ging in meinem Feuereifer so weit, daß ich sogar russisch bei ihm lernen wollte. Doch schon in der zweiten Unterrichtsstunde war seine Geduld erschöpft und er sagte mir: „Gieb’s nur wieder auf; Du lernst es doch nicht.“ So ist es mir mit einem halben Dutzend Sprachen ergangen: italienisch, dänisch, vlämisch, wendisch – immer wenn ich mir ein Lexikon und eine Grammatik gekauft hatte, war es wieder vorbei. Was ich beklage. Denn es ist unglaublich, wie viel Vorteile man von jedem kleinsten Wissen hat, ganz besonders auch auf diesem Gebiete. </p><lb/><p>Also mit der russischen Sprache war es nichts; in Bezug auf russische Litteratur jedoch ließ ich nicht wieder los und vom alten Derschawin an, über Karamsin und Schukowski fort, zogen Puschkin, Lermontow, Pawlow, Gogol an mir vorüber. Ein ganz Teil von dem, was mir Wolfsohn damals vortrug, ist sitzen geblieben, am meisten von den drei letztgenannten – Lermontow war mein besonderer Liebling – und so sehr alles nur ein Kosthäppchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: „Das nimm mit; Du kannst hundert Jahre warten, ehe Dir russische Litteratur wieder so auf dem Präsentierbrett entgegengebracht wird.“ Ich ging in meinem Feuereifer so weit, daß ich sogar russisch bei ihm lernen wollte. Doch schon in der zweiten Unterrichtsstunde war seine Geduld erschöpft und er sagte mir: „Gieb’s nur wieder auf; Du lernst es doch nicht.“ So ist es mir mit einem halben Dutzend Sprachen ergangen: italienisch, dänisch, vlämisch, wendisch – immer wenn ich mir ein Lexikon und eine Grammatik gekauft hatte, war es wieder vorbei. Was ich beklage. Denn es ist unglaublich, wie viel Vorteile man von jedem kleinsten Wissen hat, ganz besonders auch auf diesem Gebiete.
Also mit der russischen Sprache war es nichts; in Bezug auf russische Litteratur jedoch ließ ich nicht wieder los und vom alten Derschawin an, über Karamsin und Schukowski fort, zogen Puschkin, Lermontow, Pawlow, Gogol an mir vorüber. Ein ganz Teil von dem, was mir Wolfsohn damals vortrug, ist sitzen geblieben, am meisten von den drei letztgenannten – Lermontow war mein besonderer Liebling – und so sehr alles nur ein Kosthäppchen
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/157>, abgerufen am 27.07.2024.
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