Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. "Fanchon bleibt sich immer gleich" und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte siebzig und doch ganz unverändert der Alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und schrecklich zu sagen auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm, trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an - er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören - daß ich auch ein "Moderner" oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano - die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden - aufgebauten Hochstandpunkt aus, lächelnd auf mich und die andern, im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während er, die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili. der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. „Fanchon bleibt sich immer gleich“ und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte siebzig und doch ganz unverändert der Alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und schrecklich zu sagen auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm, trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an – er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören – daß ich auch ein „Moderner“ oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano – die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden – aufgebauten Hochstandpunkt aus, lächelnd auf mich und die andern, im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während er, die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0111" n="102"/> der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. „Fanchon bleibt sich immer gleich“ und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte siebzig und doch ganz unverändert der Alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und schrecklich zu sagen auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm, trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an – er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören – daß ich auch ein „Moderner“ oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano – die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden – aufgebauten Hochstandpunkt aus, lächelnd auf mich und die andern, im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während <hi rendition="#g">er</hi>, die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [102/0111]
der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. „Fanchon bleibt sich immer gleich“ und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte siebzig und doch ganz unverändert der Alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und schrecklich zu sagen auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm, trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an – er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören – daß ich auch ein „Moderner“ oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano – die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden – aufgebauten Hochstandpunkt aus, lächelnd auf mich und die andern, im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während er, die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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