Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter solchen Ausflüchten entzog er sich jedem
Geplauder, das, wie Tante Marguerite sich ausdrückte,
"den Ehrentag en vue hatte," war aber um so plauder¬
hafter, wenn das Gespräch auf die Reisetage nach
der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben
Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte
doch schließlich über Wuthenow gesiegt, und Schach,
wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm sonst
völlig fremden Phantastik allen erdenklichen Reise¬
plänen und Reisebildern nach. Er wollte nach Sizi¬
lien hinüber und die Sireneninseln passieren, "ob frei
oder an den Mast gebunden, überlaß er Victoiren
und ihrem Vertrauen." Und dann wollten sie nach
Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf
dem Wege dahin, sei die Stelle, wo der geheimnis¬
volle schwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen
ein allererstes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬
bornen Hyperboreer spräche. Das sei die Stelle, wo
die bilderreiche Fee wohne, die stumme Sirene, die
mit dem Zauber ihrer Farbe fast noch verführerischer
locke als die singende. Beständig wechselnd seien die
Szenen und Gestalten ihrer Laterna magica, und
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben
Sand ziehe, dehne sichs plötzlich wie grüne Triften
und unter der schattengebenden Palme säße die Schaar
der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in
Brand, und schwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬

Unter ſolchen Ausflüchten entzog er ſich jedem
Geplauder, das, wie Tante Marguerite ſich ausdrückte,
„den Ehrentag en vue hatte,“ war aber um ſo plauder¬
hafter, wenn das Geſpräch auf die Reiſetage nach
der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben
Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte
doch ſchließlich über Wuthenow geſiegt, und Schach,
wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm ſonſt
völlig fremden Phantaſtik allen erdenklichen Reiſe¬
plänen und Reiſebildern nach. Er wollte nach Sizi¬
lien hinüber und die Sireneninſeln paſſieren, „ob frei
oder an den Maſt gebunden, überlaß er Victoiren
und ihrem Vertrauen.“ Und dann wollten ſie nach
Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf
dem Wege dahin, ſei die Stelle, wo der geheimnis¬
volle ſchwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen
ein allererſtes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬
bornen Hyperboreer ſpräche. Das ſei die Stelle, wo
die bilderreiche Fee wohne, die ſtumme Sirene, die
mit dem Zauber ihrer Farbe faſt noch verführeriſcher
locke als die ſingende. Beſtändig wechſelnd ſeien die
Szenen und Geſtalten ihrer Laterna magica, und
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben
Sand ziehe, dehne ſichs plötzlich wie grüne Triften
und unter der ſchattengebenden Palme ſäße die Schaar
der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in
Brand, und ſchwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0220" n="208"/>
        <p>Unter &#x017F;olchen Ausflüchten entzog er &#x017F;ich jedem<lb/>
Geplauder, das, wie Tante Marguerite &#x017F;ich ausdrückte,<lb/>
&#x201E;den Ehrentag <hi rendition="#aq">en vue</hi> hatte,&#x201C; war aber um &#x017F;o plauder¬<lb/>
hafter, wenn das Ge&#x017F;präch auf die Rei&#x017F;etage <hi rendition="#g">nach</hi><lb/>
der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben<lb/>
Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte<lb/>
doch &#x017F;chließlich über Wuthenow ge&#x017F;iegt, und Schach,<lb/>
wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
völlig fremden Phanta&#x017F;tik allen erdenklichen Rei&#x017F;<lb/>
plänen und Rei&#x017F;ebildern nach. Er wollte nach Sizi¬<lb/>
lien hinüber und die Sirenenin&#x017F;eln pa&#x017F;&#x017F;ieren, &#x201E;ob frei<lb/>
oder an den Ma&#x017F;t gebunden, überlaß er Victoiren<lb/>
und ihrem Vertrauen.&#x201C; Und dann wollten &#x017F;ie nach<lb/>
Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf<lb/>
dem Wege dahin, &#x017F;ei die Stelle, wo der geheimnis¬<lb/>
volle &#x017F;chwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen<lb/>
ein allerer&#x017F;tes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬<lb/>
bornen Hyperboreer &#x017F;präche. <hi rendition="#g">Das</hi> &#x017F;ei die Stelle, wo<lb/>
die bilderreiche Fee wohne, die <hi rendition="#g">&#x017F;tumme</hi> Sirene, die<lb/>
mit dem Zauber ihrer Farbe fa&#x017F;t noch verführeri&#x017F;cher<lb/>
locke als die &#x017F;ingende. Be&#x017F;tändig wech&#x017F;elnd &#x017F;eien die<lb/>
Szenen und Ge&#x017F;talten ihrer <hi rendition="#aq">Laterna magica</hi>, und<lb/>
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben<lb/>
Sand ziehe, dehne &#x017F;ichs plötzlich wie grüne Triften<lb/>
und unter der &#x017F;chattengebenden Palme &#x017F;äße die Schaar<lb/>
der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in<lb/>
Brand, und &#x017F;chwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0220] Unter ſolchen Ausflüchten entzog er ſich jedem Geplauder, das, wie Tante Marguerite ſich ausdrückte, „den Ehrentag en vue hatte,“ war aber um ſo plauder¬ hafter, wenn das Geſpräch auf die Reiſetage nach der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte doch ſchließlich über Wuthenow geſiegt, und Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm ſonſt völlig fremden Phantaſtik allen erdenklichen Reiſe¬ plänen und Reiſebildern nach. Er wollte nach Sizi¬ lien hinüber und die Sireneninſeln paſſieren, „ob frei oder an den Maſt gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen.“ Und dann wollten ſie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf dem Wege dahin, ſei die Stelle, wo der geheimnis¬ volle ſchwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererſtes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬ bornen Hyperboreer ſpräche. Das ſei die Stelle, wo die bilderreiche Fee wohne, die ſtumme Sirene, die mit dem Zauber ihrer Farbe faſt noch verführeriſcher locke als die ſingende. Beſtändig wechſelnd ſeien die Szenen und Geſtalten ihrer Laterna magica, und während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne ſichs plötzlich wie grüne Triften und unter der ſchattengebenden Palme ſäße die Schaar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand, und ſchwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/220
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/220>, abgerufen am 24.11.2024.