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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Und Sie wissen nicht davon? Er wird sich doch nicht
ohne vorgängigen Abschied von Ihnen in sein altes
Seeschloß zurückgezogen haben, von dem Nostitz neu¬
lich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb
Romantik sei."

"Und doch ist es geschehen. Er ist launenhaft,
wie Sie wissen." Sie wollte mehr sagen, aber es ge¬
lang ihr, sich zu bezwingen und das Gespräch über
allerhand Tagesneuigkeiten fortzusetzen, bei welcher
Gelegenheit Alvensleben zu seiner Beruhigung wahr¬
nahm, daß sie von der Haupttagesneuigkeit, von dem
Erscheinen der Bilder, nicht das Geringste wußte.
Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der
zwischenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick
in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das
von dem Tantchen Angedeutete hören zu wollen.

Endlich empfahl sich Alvensleben, und Frau von
Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte,
während Thränen ihren Augen entstürzten, in Victoirens
Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht
zu machen. Denn eine Flucht war es.

Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre
Hoffnung und Zuversicht oder umgekehrt ihre Resig¬
nation war, gleichviel, sie blieb ruhig.

"Ich bitte Dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief
von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung
geben. Laß es uns abwarten; Du wirst sehn, daß

Und Sie wiſſen nicht davon? Er wird ſich doch nicht
ohne vorgängigen Abſchied von Ihnen in ſein altes
Seeſchloß zurückgezogen haben, von dem Noſtitz neu¬
lich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb
Romantik ſei.“

„Und doch iſt es geſchehen. Er iſt launenhaft,
wie Sie wiſſen.“ Sie wollte mehr ſagen, aber es ge¬
lang ihr, ſich zu bezwingen und das Geſpräch über
allerhand Tagesneuigkeiten fortzuſetzen, bei welcher
Gelegenheit Alvensleben zu ſeiner Beruhigung wahr¬
nahm, daß ſie von der Haupttagesneuigkeit, von dem
Erſcheinen der Bilder, nicht das Geringſte wußte.
Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der
zwiſchenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick
in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das
von dem Tantchen Angedeutete hören zu wollen.

Endlich empfahl ſich Alvensleben, und Frau von
Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte,
während Thränen ihren Augen entſtürzten, in Victoirens
Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht
zu machen. Denn eine Flucht war es.

Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre
Hoffnung und Zuverſicht oder umgekehrt ihre Reſig¬
nation war, gleichviel, ſie blieb ruhig.

„Ich bitte Dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief
von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung
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[174/0186] Und Sie wiſſen nicht davon? Er wird ſich doch nicht ohne vorgängigen Abſchied von Ihnen in ſein altes Seeſchloß zurückgezogen haben, von dem Noſtitz neu¬ lich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb Romantik ſei.“ „Und doch iſt es geſchehen. Er iſt launenhaft, wie Sie wiſſen.“ Sie wollte mehr ſagen, aber es ge¬ lang ihr, ſich zu bezwingen und das Geſpräch über allerhand Tagesneuigkeiten fortzuſetzen, bei welcher Gelegenheit Alvensleben zu ſeiner Beruhigung wahr¬ nahm, daß ſie von der Haupttagesneuigkeit, von dem Erſcheinen der Bilder, nicht das Geringſte wußte. Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der zwiſchenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das von dem Tantchen Angedeutete hören zu wollen. Endlich empfahl ſich Alvensleben, und Frau von Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte, während Thränen ihren Augen entſtürzten, in Victoirens Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht zu machen. Denn eine Flucht war es. Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre Hoffnung und Zuverſicht oder umgekehrt ihre Reſig¬ nation war, gleichviel, ſie blieb ruhig. „Ich bitte Dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung geben. Laß es uns abwarten; Du wirſt ſehn, daß

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/186>, abgerufen am 27.11.2024.