Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

seine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt sie noch
immer über ihn ausübte.

"Lieber Schach," fuhr sie fort, "Sie sehen, ich
gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich
auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬
waltschaft für Josephine von Carayon enthalte, für
Josephine (Verzeihung, Sie haben eben selbst den
alten Namen wieder heraufbeschworen) so darf ich doch
nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von
Carayon zu sein, ihres Hauses und ihres Namens."

Es schien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie
ließ es aber nicht zu. "Noch einen Augenblick. Ich
werde gleich gesagt haben, was ich zu sagen habe.
Victoire hat mich gebeten, über alles zu schweigen,
nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu
verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und
ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld
spreche) will sie die ganze tragen, auch vor der Welt,
und will sich in jenem romantischen Zuge, der ihr
eigen ist, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie
gefällt sich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem
süßen Hinsterben für den, den sie liebt, und für das,
was sie lieben wird. Aber so schwach ich in meiner
Liebe zu Victoire bin, so bin ich doch nicht schwach
genug, ihr in dieser Großmutskomödie zu willen zu
sein. Ich gehöre der Gesellschaft an, deren Be¬
dingungen ich erfülle, deren Gesetzen ich mich unter¬

ſeine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt ſie noch
immer über ihn ausübte.

„Lieber Schach,“ fuhr ſie fort, „Sie ſehen, ich
gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich
auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬
waltſchaft für Joſephine von Carayon enthalte, für
Joſephine (Verzeihung, Sie haben eben ſelbſt den
alten Namen wieder heraufbeſchworen) ſo darf ich doch
nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von
Carayon zu ſein, ihres Hauſes und ihres Namens.“

Es ſchien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie
ließ es aber nicht zu. „Noch einen Augenblick. Ich
werde gleich geſagt haben, was ich zu ſagen habe.
Victoire hat mich gebeten, über alles zu ſchweigen,
nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu
verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und
ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld
ſpreche) will ſie die ganze tragen, auch vor der Welt,
und will ſich in jenem romantiſchen Zuge, der ihr
eigen iſt, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie
gefällt ſich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem
ſüßen Hinſterben für den, den ſie liebt, und für das,
was ſie lieben wird. Aber ſo ſchwach ich in meiner
Liebe zu Victoire bin, ſo bin ich doch nicht ſchwach
genug, ihr in dieſer Großmutskomödie zu willen zu
ſein. Ich gehöre der Geſellſchaft an, deren Be¬
dingungen ich erfülle, deren Geſetzen ich mich unter¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0147" n="135"/>
&#x017F;eine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt &#x017F;ie noch<lb/>
immer über ihn ausübte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lieber Schach,&#x201C; fuhr &#x017F;ie fort, &#x201E;Sie &#x017F;ehen, ich<lb/>
gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich<lb/>
auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬<lb/>
walt&#x017F;chaft für Jo&#x017F;ephine von Carayon enthalte, für<lb/><hi rendition="#g">Jo&#x017F;ephine</hi> (Verzeihung, Sie haben eben &#x017F;elb&#x017F;t den<lb/>
alten Namen wieder heraufbe&#x017F;chworen) &#x017F;o darf ich doch<lb/>
nicht darauf verzichten, der Anwalt der <hi rendition="#g">Frau</hi> von<lb/>
Carayon zu &#x017F;ein, ihres Hau&#x017F;es und ihres Namens.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;chien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie<lb/>
ließ es aber nicht zu. &#x201E;Noch einen Augenblick. Ich<lb/>
werde gleich ge&#x017F;agt haben, was ich zu &#x017F;agen habe.<lb/>
Victoire hat mich gebeten, über <hi rendition="#g">alles</hi> zu &#x017F;chweigen,<lb/>
nichts zu verraten, auch <hi rendition="#g">Ihnen</hi> nicht, und nichts zu<lb/>
verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und<lb/>
ich rechne hoch, wenn ich von einer <hi rendition="#g">halben</hi> Schuld<lb/>
&#x017F;preche) will &#x017F;ie die <hi rendition="#g">ganze</hi> tragen, auch vor der Welt,<lb/>
und will &#x017F;ich in jenem romanti&#x017F;chen Zuge, der ihr<lb/>
eigen i&#x017F;t, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie<lb/>
gefällt &#x017F;ich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem<lb/>
&#x017F;üßen Hin&#x017F;terben für <hi rendition="#g">den</hi>, den &#x017F;ie liebt, und für <hi rendition="#g">das</hi>,<lb/>
was &#x017F;ie lieben <hi rendition="#g">wird</hi>. Aber &#x017F;o &#x017F;chwach ich in meiner<lb/>
Liebe zu Victoire bin, &#x017F;o bin ich doch nicht &#x017F;chwach<lb/>
genug, ihr in die&#x017F;er Großmutskomödie zu willen zu<lb/>
&#x017F;ein. Ich gehöre der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft an, deren Be¬<lb/>
dingungen ich erfülle, deren Ge&#x017F;etzen ich mich unter¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0147] ſeine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt ſie noch immer über ihn ausübte. „Lieber Schach,“ fuhr ſie fort, „Sie ſehen, ich gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬ waltſchaft für Joſephine von Carayon enthalte, für Joſephine (Verzeihung, Sie haben eben ſelbſt den alten Namen wieder heraufbeſchworen) ſo darf ich doch nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von Carayon zu ſein, ihres Hauſes und ihres Namens.“ Es ſchien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie ließ es aber nicht zu. „Noch einen Augenblick. Ich werde gleich geſagt haben, was ich zu ſagen habe. Victoire hat mich gebeten, über alles zu ſchweigen, nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld ſpreche) will ſie die ganze tragen, auch vor der Welt, und will ſich in jenem romantiſchen Zuge, der ihr eigen iſt, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie gefällt ſich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem ſüßen Hinſterben für den, den ſie liebt, und für das, was ſie lieben wird. Aber ſo ſchwach ich in meiner Liebe zu Victoire bin, ſo bin ich doch nicht ſchwach genug, ihr in dieſer Großmutskomödie zu willen zu ſein. Ich gehöre der Geſellſchaft an, deren Be¬ dingungen ich erfülle, deren Geſetzen ich mich unter¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/147
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/147>, abgerufen am 22.11.2024.