Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

"Weil Dus geträumt?"

"Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und
rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an
welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erscheinen
wird. Er kommt immer, wenn etwas geschehen ist
oder eine Neuigkeit vorliegt, über die sich bequem
sprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung
mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬
führung des Stücks, und heute kommt er nach der
Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig,
ob er mit dabei war. War ers, so sag ihm, wie
sehr es mich verletzt hat. Oder sag es lieber nicht".

Frau von Carayon war bewegt. "Ach, meine
süße Victoire, Du bist zu gut, viel zu gut. Er ver¬
dient es nicht; keiner." Und sie streichelte die Tochter
und ging über den Korridor fort in den Salon, wo
Schach ihrer wartete.

Dieser schien weniger befangen als sonst und
verbeugte sich ihr die Hand zu küssen, was sie freund¬
lich geschehen ließ. Und doch war ihr Benehmen
verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr
sonst fremd war, auf einen der zur Seite stehenden
japanischen Stühle, schob sich ein Fußkissen heran,
und nahm ihrerseits auf dem Sofa Platz.

"Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu
fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die

„Weil Dus geträumt?“

„Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und
rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an
welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erſcheinen
wird. Er kommt immer, wenn etwas geſchehen iſt
oder eine Neuigkeit vorliegt, über die ſich bequem
ſprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung
mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬
führung des Stücks, und heute kommt er nach der
Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig,
ob er mit dabei war. War ers, ſo ſag ihm, wie
ſehr es mich verletzt hat. Oder ſag es lieber nicht“.

Frau von Carayon war bewegt. „Ach, meine
ſüße Victoire, Du biſt zu gut, viel zu gut. Er ver¬
dient es nicht; keiner.“ Und ſie ſtreichelte die Tochter
und ging über den Korridor fort in den Salon, wo
Schach ihrer wartete.

Dieſer ſchien weniger befangen als ſonſt und
verbeugte ſich ihr die Hand zu küſſen, was ſie freund¬
lich geſchehen ließ. Und doch war ihr Benehmen
verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr
ſonſt fremd war, auf einen der zur Seite ſtehenden
japaniſchen Stühle, ſchob ſich ein Fußkiſſen heran,
und nahm ihrerſeits auf dem Sofa Platz.

„Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu
fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0144" n="132"/>
        <p>&#x201E;Weil Dus geträumt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und<lb/>
rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an<lb/>
welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er er&#x017F;cheinen<lb/>
wird. Er kommt immer, wenn etwas ge&#x017F;chehen i&#x017F;t<lb/>
oder eine Neuigkeit vorliegt, über die &#x017F;ich bequem<lb/>
&#x017F;prechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung<lb/>
mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬<lb/>
führung des Stücks, und heute kommt er nach der<lb/>
Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig,<lb/>
ob er mit dabei war. War ers, &#x017F;o &#x017F;ag ihm, wie<lb/>
&#x017F;ehr es mich verletzt hat. Oder &#x017F;ag es lieber nicht&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Frau von Carayon war bewegt. &#x201E;Ach, meine<lb/>
&#x017F;üße Victoire, Du bi&#x017F;t zu gut, viel zu gut. Er ver¬<lb/>
dient es nicht; keiner.&#x201C; Und &#x017F;ie &#x017F;treichelte die Tochter<lb/>
und ging über den Korridor fort in den Salon, wo<lb/>
Schach ihrer wartete.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er &#x017F;chien weniger befangen als &#x017F;on&#x017F;t und<lb/>
verbeugte &#x017F;ich ihr die Hand zu kü&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie freund¬<lb/>
lich ge&#x017F;chehen ließ. Und doch war ihr Benehmen<lb/>
verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t fremd war, auf einen der zur Seite &#x017F;tehenden<lb/>
japani&#x017F;chen Stühle, &#x017F;chob &#x017F;ich ein Fußki&#x017F;&#x017F;en heran,<lb/>
und nahm ihrer&#x017F;eits <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice> dem Sofa Platz.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu<lb/>
fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0144] „Weil Dus geträumt?“ „Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erſcheinen wird. Er kommt immer, wenn etwas geſchehen iſt oder eine Neuigkeit vorliegt, über die ſich bequem ſprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬ führung des Stücks, und heute kommt er nach der Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig, ob er mit dabei war. War ers, ſo ſag ihm, wie ſehr es mich verletzt hat. Oder ſag es lieber nicht“. Frau von Carayon war bewegt. „Ach, meine ſüße Victoire, Du biſt zu gut, viel zu gut. Er ver¬ dient es nicht; keiner.“ Und ſie ſtreichelte die Tochter und ging über den Korridor fort in den Salon, wo Schach ihrer wartete. Dieſer ſchien weniger befangen als ſonſt und verbeugte ſich ihr die Hand zu küſſen, was ſie freund¬ lich geſchehen ließ. Und doch war ihr Benehmen verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr ſonſt fremd war, auf einen der zur Seite ſtehenden japaniſchen Stühle, ſchob ſich ein Fußkiſſen heran, und nahm ihrerſeits auf dem Sofa Platz. „Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/144
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/144>, abgerufen am 28.11.2024.