Veranlassung schreibst. Ich lerne Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte, von der argwöhnischen nähmlich. Und nun, meine teure Victoire, hab ein freundliches Ohr für das, was ich Dir in Bezug auf diesen wichtigen Punkt zu sagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfst Dich ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinleben, die durchaus den entgegengesetzten An¬ spruch erheben dürfen. Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen lassen mußt. Er sei Kavalier, schreibst Du mir, "ja, das Ritterliche," fügst Du hinzu, "sei so recht eigentlich seine Natur," und im selben Augenblicke, wo Du dies schreibst, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handels¬ weise, die, träfe sie zu, das Unritterlichste von der Welt sein würde. Solche Widersprüche giebt es nicht. Man ist entweder ein Mann von Ehre, oder man ist es nicht. Im Übrigen, meine teure Victoire, sei gutes Mutes, und halte Dich ein für allemal versichert, Dir lügt der Spiegel. Es ist nur Eines, um dessent¬ willen wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, ist gleichgiltig."
Victoire faltete das Blatt wieder zusammen. "Es
Veranlaſſung ſchreibſt. Ich lerne Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte, von der argwöhniſchen nähmlich. Und nun, meine teure Victoire, hab ein freundliches Ohr für das, was ich Dir in Bezug auf dieſen wichtigen Punkt zu ſagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfſt Dich ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Perſonen hineinleben, die durchaus den entgegengeſetzten An¬ ſpruch erheben dürfen. Und zu dieſen Perſonen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative ſtehſt, und entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen laſſen mußt. Er ſei Kavalier, ſchreibſt Du mir, „ja, das Ritterliche,“ fügſt Du hinzu, „ſei ſo recht eigentlich ſeine Natur,“ und im ſelben Augenblicke, wo Du dies ſchreibſt, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handels¬ weiſe, die, träfe ſie zu, das Unritterlichſte von der Welt ſein würde. Solche Widerſprüche giebt es nicht. Man iſt entweder ein Mann von Ehre, oder man iſt es nicht. Im Übrigen, meine teure Victoire, ſei gutes Mutes, und halte Dich ein für allemal verſichert, Dir lügt der Spiegel. Es iſt nur Eines, um deſſent¬ willen wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, iſt gleichgiltig.“
Victoire faltete das Blatt wieder zuſammen. „Es
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Veranlaſſung ſchreibſt. Ich lerne Dich plötzlich von
einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte,
von der argwöhniſchen nähmlich. Und nun, meine
teure Victoire, hab ein freundliches Ohr für das,
was ich Dir in Bezug auf dieſen wichtigen Punkt zu
ſagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfſt Dich
ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Perſonen
hineinleben, die durchaus den entgegengeſetzten An¬
ſpruch erheben dürfen. Und zu dieſen Perſonen, mein
ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall
überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative
ſtehſt, und entweder Deine gute Meinung über S.,
oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen laſſen
mußt. Er ſei Kavalier, ſchreibſt Du mir, „ja, das
Ritterliche,“ fügſt Du hinzu, „ſei ſo recht eigentlich
ſeine Natur,“ und im ſelben Augenblicke, wo Du dies
ſchreibſt, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handels¬
weiſe, die, träfe ſie zu, das Unritterlichſte von der
Welt ſein würde. Solche Widerſprüche giebt es nicht.
Man iſt entweder ein Mann von Ehre, oder man iſt
es nicht. Im Übrigen, meine teure Victoire, ſei gutes
Mutes, und halte Dich ein für allemal verſichert, Dir
lügt der Spiegel. Es iſt nur Eines, um deſſent¬
willen wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz
zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, iſt
gleichgiltig.“
Victoire faltete das Blatt wieder zuſammen. „Es
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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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