Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.der Treppenstufe ließ man ihn liegen. Sechsundfunfzig Dolchstiche hatten ihr Werk gethan. Lord Ruthven schritt in das Zimmer der Königin zurück und forderte einen Becher Wein. Er war so matt, daß er sich mühsam aufrecht hielt; eine Woche später war er nicht mehr. Der Tod schien nur gewartet zu haben, um nicht zwischen ihn und diesen Mord zu treten. All das stand vor unserer Seele, als wir uns in dem elenden Zimmerchen umsahen. Wir verließen es wieder ohne ein Wort zu sprechen. Als wir bis an die Treppe gekommen waren, rief uns einer der Aufseher nach; wait a moment, gentlemen, you did'nt see the blood yet. "Warten Sie einen Augenblick meine Herren, Sie haben das Blut noch nicht gesehen." In der That standen wir auf dem Punkt, an dem Blute Rizzio's ohne weitere Theilnahme vorbeizugehen. Wir hielten an und sahen nun den großen braungrauen Fleck, das sichtbare Zeichen der Schrecknisse jenes Abends. Zu sagen, daß wir viel dabei empfunden hätten, wäre Lüge. Diese Dinge dürfen einem nicht in Substanz auf den Leib rücken. Die rothen Flecke, die das Gewissen der Lady Macbeth sieht, wo sie nicht sind, werden ewig ihr Grauen für uns behalten; aber es ist vorbei damit, wenn man uns das Blut tischbreit auf die Diele malt. Auch die Vorstellung kann nicht retten, daß es vielleicht das ächte sei. der Treppenstufe ließ man ihn liegen. Sechsundfunfzig Dolchstiche hatten ihr Werk gethan. Lord Ruthven schritt in das Zimmer der Königin zurück und forderte einen Becher Wein. Er war so matt, daß er sich mühsam aufrecht hielt; eine Woche später war er nicht mehr. Der Tod schien nur gewartet zu haben, um nicht zwischen ihn und diesen Mord zu treten. All das stand vor unserer Seele, als wir uns in dem elenden Zimmerchen umsahen. Wir verließen es wieder ohne ein Wort zu sprechen. Als wir bis an die Treppe gekommen waren, rief uns einer der Aufseher nach; wait a moment, gentlemen, you did’nt see the blood yet. „Warten Sie einen Augenblick meine Herren, Sie haben das Blut noch nicht gesehen.“ In der That standen wir auf dem Punkt, an dem Blute Rizzio’s ohne weitere Theilnahme vorbeizugehen. Wir hielten an und sahen nun den großen braungrauen Fleck, das sichtbare Zeichen der Schrecknisse jenes Abends. Zu sagen, daß wir viel dabei empfunden hätten, wäre Lüge. Diese Dinge dürfen einem nicht in Substanz auf den Leib rücken. Die rothen Flecke, die das Gewissen der Lady Macbeth sieht, wo sie nicht sind, werden ewig ihr Grauen für uns behalten; aber es ist vorbei damit, wenn man uns das Blut tischbreit auf die Diele malt. Auch die Vorstellung kann nicht retten, daß es vielleicht das ächte sei. <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0045" n="31"/> der Treppenstufe ließ man ihn liegen. Sechsundfunfzig Dolchstiche hatten ihr Werk gethan. Lord Ruthven schritt in das Zimmer der Königin zurück und forderte einen Becher Wein. Er war so matt, daß er sich mühsam aufrecht hielt; eine Woche später war er nicht mehr. Der Tod schien nur gewartet zu haben, um nicht zwischen ihn und diesen Mord zu treten. </p><lb/> <p>All das stand vor unserer Seele, als wir uns in dem elenden Zimmerchen umsahen. Wir verließen es wieder ohne ein Wort zu sprechen. Als wir bis an die Treppe gekommen waren, rief uns einer der Aufseher nach; <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">wait a moment, gentlemen, you did’nt see the blood yet</foreign></hi>. „Warten Sie einen Augenblick meine Herren, Sie haben das Blut noch nicht gesehen.“ In der That standen wir auf dem Punkt, an dem Blute Rizzio’s ohne weitere Theilnahme vorbeizugehen. Wir hielten an und sahen nun den großen braungrauen Fleck, das sichtbare Zeichen der Schrecknisse jenes Abends. Zu sagen, daß wir viel dabei empfunden hätten, wäre Lüge. Diese Dinge dürfen einem nicht in Substanz auf den Leib rücken. Die rothen Flecke, die das Gewissen der Lady Macbeth sieht, wo sie <hi rendition="#g">nicht</hi> sind, werden ewig ihr Grauen für uns behalten; aber es ist vorbei damit, wenn man uns das Blut tischbreit auf die Diele malt. Auch die Vorstellung kann nicht retten, daß es vielleicht das <hi rendition="#g">ächte</hi> sei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0045]
der Treppenstufe ließ man ihn liegen. Sechsundfunfzig Dolchstiche hatten ihr Werk gethan. Lord Ruthven schritt in das Zimmer der Königin zurück und forderte einen Becher Wein. Er war so matt, daß er sich mühsam aufrecht hielt; eine Woche später war er nicht mehr. Der Tod schien nur gewartet zu haben, um nicht zwischen ihn und diesen Mord zu treten.
All das stand vor unserer Seele, als wir uns in dem elenden Zimmerchen umsahen. Wir verließen es wieder ohne ein Wort zu sprechen. Als wir bis an die Treppe gekommen waren, rief uns einer der Aufseher nach; wait a moment, gentlemen, you did’nt see the blood yet. „Warten Sie einen Augenblick meine Herren, Sie haben das Blut noch nicht gesehen.“ In der That standen wir auf dem Punkt, an dem Blute Rizzio’s ohne weitere Theilnahme vorbeizugehen. Wir hielten an und sahen nun den großen braungrauen Fleck, das sichtbare Zeichen der Schrecknisse jenes Abends. Zu sagen, daß wir viel dabei empfunden hätten, wäre Lüge. Diese Dinge dürfen einem nicht in Substanz auf den Leib rücken. Die rothen Flecke, die das Gewissen der Lady Macbeth sieht, wo sie nicht sind, werden ewig ihr Grauen für uns behalten; aber es ist vorbei damit, wenn man uns das Blut tischbreit auf die Diele malt. Auch die Vorstellung kann nicht retten, daß es vielleicht das ächte sei.
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/45>, abgerufen am 17.02.2025. |