Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

namentalen, wie sie, selbst in der höchsten Blüthezeit der Gothik, nur ausnahmsweise gefunden wird. Mit feinem Sinn für noble Gesammtwirkung ist die quantitative, unerbittlich in's Auge fallende Ueberladung vermieden, und nur qualitativ begegnen wir einem äußersten Maaß, das an Raffinement grenzen und vielleicht ein Zuviel sein würde, wenn es nicht mit jener Reservirtheit Hand in Hand ginge, die es in den Willen des Beschauers legt, ob er den Reichthum sehen will oder nicht. Unter diesen Details-Arbeiten zeichnen sich vor allen die Capitelle der Säulen aus. Es ist, als ob die Meister jener Epoche den Zweck verfolgt hätten, ein in Stein gebildetes Herbarium scoticum auf die Nachwelt kommen zu lassen. Alle möglichen Blumen und Blätter, Lilien, Distel, Eichenlaub, Kleeblatt und Raute finden sich vor und mit so viel Studium und Sauberkeit ausgeführt, daß es z. B. möglich ist, einen Strohhalm durch die reichdurchbrochene Blumenarbeit, wie durch ein Gewebe von Maschen und Ringen, hindurchzuziehen. An jeder Stelle der Kirche laden diese Capitelle zu sorglicher Betrachtung ein, ganz besonders aber im Nordost-Theil derselben, wo sich's der Steinmetz an einzelnen Stellen hat angelegen sein lassen, die krausen Blätter des schottischen Grünkohls mit überraschender Treue nachzubilden. Dieser Grünkohl, gemeinhin scotch kail genannt, muß entweder auf Melroser Grund und Boden mit ganz besonderer Vortrefflichkeit gediehen sein oder irgend welche mysteriöse Beziehungen zur Abtei gehabt haben, da noch

namentalen, wie sie, selbst in der höchsten Blüthezeit der Gothik, nur ausnahmsweise gefunden wird. Mit feinem Sinn für noble Gesammtwirkung ist die quantitative, unerbittlich in’s Auge fallende Ueberladung vermieden, und nur qualitativ begegnen wir einem äußersten Maaß, das an Raffinement grenzen und vielleicht ein Zuviel sein würde, wenn es nicht mit jener Reservirtheit Hand in Hand ginge, die es in den Willen des Beschauers legt, ob er den Reichthum sehen will oder nicht. Unter diesen Details-Arbeiten zeichnen sich vor allen die Capitelle der Säulen aus. Es ist, als ob die Meister jener Epoche den Zweck verfolgt hätten, ein in Stein gebildetes Herbarium scoticum auf die Nachwelt kommen zu lassen. Alle möglichen Blumen und Blätter, Lilien, Distel, Eichenlaub, Kleeblatt und Raute finden sich vor und mit so viel Studium und Sauberkeit ausgeführt, daß es z. B. möglich ist, einen Strohhalm durch die reichdurchbrochene Blumenarbeit, wie durch ein Gewebe von Maschen und Ringen, hindurchzuziehen. An jeder Stelle der Kirche laden diese Capitelle zu sorglicher Betrachtung ein, ganz besonders aber im Nordost-Theil derselben, wo sich’s der Steinmetz an einzelnen Stellen hat angelegen sein lassen, die krausen Blätter des schottischen Grünkohls mit überraschender Treue nachzubilden. Dieser Grünkohl, gemeinhin scotch kail genannt, muß entweder auf Melroser Grund und Boden mit ganz besonderer Vortrefflichkeit gediehen sein oder irgend welche mysteriöse Beziehungen zur Abtei gehabt haben, da noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0338" n="321"/>
namentalen, wie sie, selbst in der höchsten Blüthezeit der Gothik, nur ausnahmsweise gefunden wird. Mit feinem Sinn für noble Gesammtwirkung ist die quantitative, unerbittlich in&#x2019;s Auge fallende Ueberladung vermieden, und nur qualitativ begegnen wir einem äußersten Maaß, das an Raffinement grenzen und vielleicht ein Zuviel sein würde, wenn es nicht mit jener Reservirtheit Hand in Hand ginge, die es in den Willen des <hi rendition="#g">Beschauers</hi> legt, ob er den Reichthum sehen will oder nicht. Unter diesen Details-Arbeiten zeichnen sich vor allen die Capitelle der Säulen aus. Es ist, als ob die Meister jener Epoche den Zweck verfolgt hätten, ein in Stein gebildetes <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="lat">Herbarium              scoticum</foreign></hi> auf die Nachwelt kommen zu lassen. Alle möglichen Blumen und Blätter, Lilien, Distel, Eichenlaub, Kleeblatt und Raute finden sich vor und mit so viel Studium und Sauberkeit ausgeführt, daß es z. B. möglich ist, einen Strohhalm durch die reichdurchbrochene Blumenarbeit, wie durch ein Gewebe von Maschen und Ringen, hindurchzuziehen. An jeder Stelle der Kirche laden diese Capitelle zu sorglicher Betrachtung ein, ganz besonders aber im Nordost-Theil derselben, wo sich&#x2019;s der Steinmetz an einzelnen Stellen hat angelegen sein lassen, die krausen Blätter des schottischen Grünkohls mit überraschender Treue nachzubilden. Dieser Grünkohl, gemeinhin <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">scotch kail</foreign></hi> genannt, muß entweder auf Melroser Grund und Boden mit ganz              besonderer Vortrefflichkeit gediehen sein oder irgend welche mysteriöse Beziehungen zur              Abtei gehabt haben, da noch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0338] namentalen, wie sie, selbst in der höchsten Blüthezeit der Gothik, nur ausnahmsweise gefunden wird. Mit feinem Sinn für noble Gesammtwirkung ist die quantitative, unerbittlich in’s Auge fallende Ueberladung vermieden, und nur qualitativ begegnen wir einem äußersten Maaß, das an Raffinement grenzen und vielleicht ein Zuviel sein würde, wenn es nicht mit jener Reservirtheit Hand in Hand ginge, die es in den Willen des Beschauers legt, ob er den Reichthum sehen will oder nicht. Unter diesen Details-Arbeiten zeichnen sich vor allen die Capitelle der Säulen aus. Es ist, als ob die Meister jener Epoche den Zweck verfolgt hätten, ein in Stein gebildetes Herbarium scoticum auf die Nachwelt kommen zu lassen. Alle möglichen Blumen und Blätter, Lilien, Distel, Eichenlaub, Kleeblatt und Raute finden sich vor und mit so viel Studium und Sauberkeit ausgeführt, daß es z. B. möglich ist, einen Strohhalm durch die reichdurchbrochene Blumenarbeit, wie durch ein Gewebe von Maschen und Ringen, hindurchzuziehen. An jeder Stelle der Kirche laden diese Capitelle zu sorglicher Betrachtung ein, ganz besonders aber im Nordost-Theil derselben, wo sich’s der Steinmetz an einzelnen Stellen hat angelegen sein lassen, die krausen Blätter des schottischen Grünkohls mit überraschender Treue nachzubilden. Dieser Grünkohl, gemeinhin scotch kail genannt, muß entweder auf Melroser Grund und Boden mit ganz besonderer Vortrefflichkeit gediehen sein oder irgend welche mysteriöse Beziehungen zur Abtei gehabt haben, da noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/338
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/338>, abgerufen am 22.11.2024.