Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

wir heut den Weg am Fuß des Calton Hill entlang, der uns, auf einem kleinen Umwege durch den Regents Road nach dem Palaste führt. Hübsche Landschaftsbilder breiten sich vor uns aus, sobald wir Waterloo-Place im Rücken haben, nichts besonderes aber fesselt unsren Blick, mit Ausnahme eines seltsamen Steinackers unmittelbar zu unsrer Rechten, von dem wir nicht wissen, ob er mehr einem Friedhof oder einem Schutthaufen gleicht. Auf unsre Frage erhalten wir folgende Antwort. Als Terrain geschafft werden mußte für das schottische Eisenbahnnetz, das in Edinburg seinen Centralpunkt hat, entschied man sich begreiflicherweise für Ankauf jener flußbettartigen, die Altstadt von der Neustadt trennenden Vertiefung, die ich im vorigen Kapitel beschrieben habe. In dieser Vertiefung, feucht und ungesund wie sie war, stand eine alte Kirche mit ihrem Gottesacker drum herum. Die Schiene brauchte Platz, der schottische Unternehmungsgeist war stärker als die schottische Kirchlichkeit und binnen Kurzem war der alte Bau ein Trümmerhaufen. Man wußte nicht was damit zu machen, oder konnte sich nicht einigen über den Verkauf, kurzum die ehemalige Kirche sammt ihren tausend Grabsteinen wurde wie Schutt vor die Stadt gefahren und dort auf einem, nunmehr umzäunten Felde abgeladen. Da liegen nun hoch aufgeschichtet die Trümmer von Sockel und Capitäl, von Kreuz und Leichenstein, das Ganze eine seltsame Ruhestatt, darauf man einen alt gewordenen Kirchhof begraben hat.

wir heut den Weg am Fuß des Calton Hill entlang, der uns, auf einem kleinen Umwege durch den Regents Road nach dem Palaste führt. Hübsche Landschaftsbilder breiten sich vor uns aus, sobald wir Waterloo-Place im Rücken haben, nichts besonderes aber fesselt unsren Blick, mit Ausnahme eines seltsamen Steinackers unmittelbar zu unsrer Rechten, von dem wir nicht wissen, ob er mehr einem Friedhof oder einem Schutthaufen gleicht. Auf unsre Frage erhalten wir folgende Antwort. Als Terrain geschafft werden mußte für das schottische Eisenbahnnetz, das in Edinburg seinen Centralpunkt hat, entschied man sich begreiflicherweise für Ankauf jener flußbettartigen, die Altstadt von der Neustadt trennenden Vertiefung, die ich im vorigen Kapitel beschrieben habe. In dieser Vertiefung, feucht und ungesund wie sie war, stand eine alte Kirche mit ihrem Gottesacker drum herum. Die Schiene brauchte Platz, der schottische Unternehmungsgeist war stärker als die schottische Kirchlichkeit und binnen Kurzem war der alte Bau ein Trümmerhaufen. Man wußte nicht was damit zu machen, oder konnte sich nicht einigen über den Verkauf, kurzum die ehemalige Kirche sammt ihren tausend Grabsteinen wurde wie Schutt vor die Stadt gefahren und dort auf einem, nunmehr umzäunten Felde abgeladen. Da liegen nun hoch aufgeschichtet die Trümmer von Sockel und Capitäl, von Kreuz und Leichenstein, das Ganze eine seltsame Ruhestatt, darauf man einen alt gewordenen Kirchhof begraben hat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0032" n="18"/>
wir heut den Weg am Fuß des Calton Hill entlang, der uns, auf            einem kleinen Umwege durch den Regents Road nach dem Palaste führt. Hübsche            Landschaftsbilder breiten sich vor uns aus, sobald wir Waterloo-Place im Rücken haben,            nichts besonderes aber fesselt unsren Blick, mit Ausnahme eines seltsamen Steinackers            unmittelbar zu unsrer Rechten, von dem wir nicht wissen, ob er mehr einem Friedhof oder            einem Schutthaufen gleicht. Auf unsre Frage erhalten wir folgende Antwort. Als Terrain            geschafft werden mußte für das schottische Eisenbahnnetz, das in Edinburg seinen            Centralpunkt hat, entschied man sich begreiflicherweise für Ankauf jener flußbettartigen,            die Altstadt von der Neustadt trennenden Vertiefung, die ich im vorigen Kapitel            beschrieben habe. In dieser Vertiefung, feucht und ungesund wie sie war, stand eine alte            Kirche mit ihrem Gottesacker drum herum. Die Schiene brauchte Platz, der schottische            Unternehmungsgeist war stärker als die schottische Kirchlichkeit und binnen Kurzem war der            alte Bau ein Trümmerhaufen. Man wußte nicht was damit zu machen, oder konnte sich nicht            einigen über den Verkauf, kurzum die ehemalige Kirche sammt ihren tausend Grabsteinen            wurde wie Schutt vor die Stadt gefahren und dort auf einem, nunmehr umzäunten Felde            abgeladen. Da liegen nun hoch aufgeschichtet die Trümmer von Sockel und Capitäl, von Kreuz            und Leichenstein, das Ganze eine seltsame Ruhestatt, darauf man einen alt gewordenen            Kirchhof begraben hat.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0032] wir heut den Weg am Fuß des Calton Hill entlang, der uns, auf einem kleinen Umwege durch den Regents Road nach dem Palaste führt. Hübsche Landschaftsbilder breiten sich vor uns aus, sobald wir Waterloo-Place im Rücken haben, nichts besonderes aber fesselt unsren Blick, mit Ausnahme eines seltsamen Steinackers unmittelbar zu unsrer Rechten, von dem wir nicht wissen, ob er mehr einem Friedhof oder einem Schutthaufen gleicht. Auf unsre Frage erhalten wir folgende Antwort. Als Terrain geschafft werden mußte für das schottische Eisenbahnnetz, das in Edinburg seinen Centralpunkt hat, entschied man sich begreiflicherweise für Ankauf jener flußbettartigen, die Altstadt von der Neustadt trennenden Vertiefung, die ich im vorigen Kapitel beschrieben habe. In dieser Vertiefung, feucht und ungesund wie sie war, stand eine alte Kirche mit ihrem Gottesacker drum herum. Die Schiene brauchte Platz, der schottische Unternehmungsgeist war stärker als die schottische Kirchlichkeit und binnen Kurzem war der alte Bau ein Trümmerhaufen. Man wußte nicht was damit zu machen, oder konnte sich nicht einigen über den Verkauf, kurzum die ehemalige Kirche sammt ihren tausend Grabsteinen wurde wie Schutt vor die Stadt gefahren und dort auf einem, nunmehr umzäunten Felde abgeladen. Da liegen nun hoch aufgeschichtet die Trümmer von Sockel und Capitäl, von Kreuz und Leichenstein, das Ganze eine seltsame Ruhestatt, darauf man einen alt gewordenen Kirchhof begraben hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/32
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/32>, abgerufen am 23.11.2024.