Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.gaben sich durch Vortrag von Hauptmanns- und Compagnie-Anekdoten ein möglichst martialisches Ansehen. Es war ein kostbarer Maitag; begierig nach frischer Luft hatte ich eben draußen in der Säulenhalle Platz genommen und blickte, den ungewohnten Helm hin und her schiebend, auf den schönen, breiten Opernplatz, der sonnenbeschienen vor mir lag. Da weckte mich ein leiser Schlag auf die Schulter. Als ich aufblickte, stand ein Freund vor mir, sonnenverbrannt, in Reisekleidern, jener Glücklichen einer, an die sich das beatus ille des Dichters richtet. Er lachte über den "Grenadier" der ihm noch neu an mir war und fragte dann kurz: "willst Du mit nach England? ich reise morgen Abend." Aber Urlaub! "Das ist Deine Sache." Das Gespräch gedieh nicht weiter; der Posten draußen rief uns mit lauter Stimme an die Gewehre. Wir traten an. Ablösung vor. Fünf Minuten später schilderte ich schon vor dem Gouvernements-Gebäude in der Wallstraße. Niemals wohl hat der alte Müffling eine Schildwacht vor seiner Thür gehabt, der das Herz so hoch geschlagen hätte, wie mir an jenem Nachmittage. Voll so hoch schlug mir das Herz jetzt nicht, aber es schlug doch freudig und dankbar zugleich, als mein diesmaliger Reisegefährte dem hinter uns verschwindenden London ein Lebewohl zuwinkte und mit Genugthuung die Worte wiederholte: "nach Schottland also." Wir fuhren dritter Klasse, halb Ersparungs- halb Beobachtungshalber und hatten trotz einiger Unbequem- gaben sich durch Vortrag von Hauptmanns- und Compagnie-Anekdoten ein möglichst martialisches Ansehen. Es war ein kostbarer Maitag; begierig nach frischer Luft hatte ich eben draußen in der Säulenhalle Platz genommen und blickte, den ungewohnten Helm hin und her schiebend, auf den schönen, breiten Opernplatz, der sonnenbeschienen vor mir lag. Da weckte mich ein leiser Schlag auf die Schulter. Als ich aufblickte, stand ein Freund vor mir, sonnenverbrannt, in Reisekleidern, jener Glücklichen einer, an die sich das beatus ille des Dichters richtet. Er lachte über den „Grenadier“ der ihm noch neu an mir war und fragte dann kurz: „willst Du mit nach England? ich reise morgen Abend.“ Aber Urlaub! „Das ist Deine Sache.“ Das Gespräch gedieh nicht weiter; der Posten draußen rief uns mit lauter Stimme an die Gewehre. Wir traten an. Ablösung vor. Fünf Minuten später schilderte ich schon vor dem Gouvernements-Gebäude in der Wallstraße. Niemals wohl hat der alte Müffling eine Schildwacht vor seiner Thür gehabt, der das Herz so hoch geschlagen hätte, wie mir an jenem Nachmittage. Voll so hoch schlug mir das Herz jetzt nicht, aber es schlug doch freudig und dankbar zugleich, als mein diesmaliger Reisegefährte dem hinter uns verschwindenden London ein Lebewohl zuwinkte und mit Genugthuung die Worte wiederholte: „nach Schottland also.“ Wir fuhren dritter Klasse, halb Ersparungs- halb Beobachtungshalber und hatten trotz einiger Unbequem- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0018" n="4"/> gaben sich durch Vortrag von Hauptmanns- und Compagnie-Anekdoten ein möglichst martialisches Ansehen. Es war ein kostbarer Maitag; begierig nach frischer Luft hatte ich eben draußen in der Säulenhalle Platz genommen und blickte, den ungewohnten Helm hin und her schiebend, auf den schönen, breiten Opernplatz, der sonnenbeschienen vor mir lag. Da weckte mich ein leiser Schlag auf die Schulter. Als ich aufblickte, stand ein Freund vor mir, sonnenverbrannt, in Reisekleidern, jener Glücklichen einer, an die sich das <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="lat">beatus ille</foreign></hi> des Dichters richtet. Er lachte über den „Grenadier“ der ihm noch neu an mir war und fragte dann kurz: „willst Du mit nach England? ich reise morgen Abend.“ Aber Urlaub! „Das ist Deine Sache.“ Das Gespräch gedieh nicht weiter; der Posten draußen rief uns mit lauter Stimme an die Gewehre. Wir traten an. Ablösung vor. Fünf Minuten später schilderte ich schon vor dem Gouvernements-Gebäude in der Wallstraße. Niemals wohl hat der alte Müffling eine Schildwacht vor seiner Thür gehabt, der das Herz so hoch geschlagen hätte, wie mir an jenem Nachmittage.</p><lb/> <p>Voll so hoch schlug mir das Herz jetzt nicht, aber es schlug doch freudig und dankbar zugleich, als mein diesmaliger Reisegefährte dem hinter uns verschwindenden London ein Lebewohl zuwinkte und mit Genugthuung die Worte wiederholte: „nach Schottland also.“</p><lb/> <p>Wir fuhren dritter Klasse, halb Ersparungs- halb Beobachtungshalber und hatten trotz einiger Unbequem-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0018]
gaben sich durch Vortrag von Hauptmanns- und Compagnie-Anekdoten ein möglichst martialisches Ansehen. Es war ein kostbarer Maitag; begierig nach frischer Luft hatte ich eben draußen in der Säulenhalle Platz genommen und blickte, den ungewohnten Helm hin und her schiebend, auf den schönen, breiten Opernplatz, der sonnenbeschienen vor mir lag. Da weckte mich ein leiser Schlag auf die Schulter. Als ich aufblickte, stand ein Freund vor mir, sonnenverbrannt, in Reisekleidern, jener Glücklichen einer, an die sich das beatus ille des Dichters richtet. Er lachte über den „Grenadier“ der ihm noch neu an mir war und fragte dann kurz: „willst Du mit nach England? ich reise morgen Abend.“ Aber Urlaub! „Das ist Deine Sache.“ Das Gespräch gedieh nicht weiter; der Posten draußen rief uns mit lauter Stimme an die Gewehre. Wir traten an. Ablösung vor. Fünf Minuten später schilderte ich schon vor dem Gouvernements-Gebäude in der Wallstraße. Niemals wohl hat der alte Müffling eine Schildwacht vor seiner Thür gehabt, der das Herz so hoch geschlagen hätte, wie mir an jenem Nachmittage.
Voll so hoch schlug mir das Herz jetzt nicht, aber es schlug doch freudig und dankbar zugleich, als mein diesmaliger Reisegefährte dem hinter uns verschwindenden London ein Lebewohl zuwinkte und mit Genugthuung die Worte wiederholte: „nach Schottland also.“
Wir fuhren dritter Klasse, halb Ersparungs- halb Beobachtungshalber und hatten trotz einiger Unbequem-
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/18>, abgerufen am 22.07.2024. |