Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.noch immer stand man plaudernd an den Ecken oder zog singend durch die Straßen. Endlich schwieg der Lärm, auch die letzten Nachzügler schienen die Stadt verlassen zu haben und nur einzelne Bürger von Edinburg, die sich bei ihren Freunden verspätet hatten, stiegen noch von Canongate kommend die dunkle High-Street hinauf. Es waren ihrer drei, unter ihnen Sir Richard Lawson. Als sie in die Nähe der St. Giles Kirche gekommen waren und auf dem Platze standen, wo sich das Wahrzeichen der Stadt, das alte City-Kreuz auf seinem hohen, achteckigen Postamente erhob, hörten sie von der Brüstung her folgende Worte in die Nacht hineinrufen: Vernimm, König Jakob: zieh aus, zieh ein! In vierzig Tagen bist Du mein. Ob Schwert Dich trifft, ob Rosses Huf, Du mußt gehorchen meinem Ruf. Du bist gestrauchelt, ich hab Dich gewiß, Das Licht muß enden in Finsterniß. Die Bürger waren stehen geblieben; einige andere, die von der entgegengesetzten Seite des Platzes gekommen waren und dieselben Worte in aller Deutlichkeit gehört hatten, hatten sich zu ihnen gesellt. Man sprach laut hin und her, was zu thun und was zu lassen sei, konnte sich aber nicht einigen. Nichts desto weniger lief die Nachricht von dieser abermaligen Erscheinung wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und als der König am andern Morgen den Palast von Holyrood verließ, um in's Lager zu reiten und sich an die Spitze des seiner harrenden Heeres zu stellen, lag eine Wolke auf seiner Stirn, noch immer stand man plaudernd an den Ecken oder zog singend durch die Straßen. Endlich schwieg der Lärm, auch die letzten Nachzügler schienen die Stadt verlassen zu haben und nur einzelne Bürger von Edinburg, die sich bei ihren Freunden verspätet hatten, stiegen noch von Canongate kommend die dunkle High-Street hinauf. Es waren ihrer drei, unter ihnen Sir Richard Lawson. Als sie in die Nähe der St. Giles Kirche gekommen waren und auf dem Platze standen, wo sich das Wahrzeichen der Stadt, das alte City-Kreuz auf seinem hohen, achteckigen Postamente erhob, hörten sie von der Brüstung her folgende Worte in die Nacht hineinrufen: Vernimm, König Jakob: zieh aus, zieh ein! In vierzig Tagen bist Du mein. Ob Schwert Dich trifft, ob Rosses Huf, Du mußt gehorchen meinem Ruf. Du bist gestrauchelt, ich hab Dich gewiß, Das Licht muß enden in Finsterniß. Die Bürger waren stehen geblieben; einige andere, die von der entgegengesetzten Seite des Platzes gekommen waren und dieselben Worte in aller Deutlichkeit gehört hatten, hatten sich zu ihnen gesellt. Man sprach laut hin und her, was zu thun und was zu lassen sei, konnte sich aber nicht einigen. Nichts desto weniger lief die Nachricht von dieser abermaligen Erscheinung wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und als der König am andern Morgen den Palast von Holyrood verließ, um in’s Lager zu reiten und sich an die Spitze des seiner harrenden Heeres zu stellen, lag eine Wolke auf seiner Stirn, <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0151" n="137"/> noch immer stand man plaudernd an den Ecken oder zog singend durch die Straßen. Endlich schwieg der Lärm, auch die letzten Nachzügler schienen die Stadt verlassen zu haben und nur einzelne Bürger von Edinburg, die sich bei ihren Freunden verspätet hatten, stiegen noch von Canongate kommend die dunkle High-Street hinauf. Es waren ihrer drei, unter ihnen Sir Richard Lawson. Als sie in die Nähe der St. Giles Kirche gekommen waren und auf dem Platze standen, wo sich das Wahrzeichen der Stadt, das alte City-Kreuz auf seinem hohen, achteckigen Postamente erhob, hörten sie von der Brüstung her folgende Worte in die Nacht hineinrufen: <lg type="poem"><l>Vernimm, König Jakob: zieh aus, zieh ein!</l><lb/><l>In vierzig Tagen bist Du mein.</l><lb/><l>Ob Schwert Dich trifft, ob Rosses Huf,</l><lb/><l>Du mußt gehorchen meinem Ruf.</l><lb/><l>Du bist gestrauchelt, ich hab Dich gewiß,</l><lb/><l>Das Licht muß enden in Finsterniß.</l><lb/></lg> </p><lb/> <p>Die Bürger waren stehen geblieben; einige andere, die von der entgegengesetzten Seite des Platzes gekommen waren und dieselben Worte in aller Deutlichkeit gehört hatten, hatten sich zu ihnen gesellt. Man sprach laut hin und her, was zu thun und was zu lassen sei, konnte sich aber nicht einigen. Nichts desto weniger lief die Nachricht von dieser abermaligen Erscheinung wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und als der König am andern Morgen den Palast von Holyrood verließ, um in’s Lager zu reiten und sich an die Spitze des seiner harrenden Heeres zu stellen, lag eine Wolke auf seiner Stirn,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [137/0151]
noch immer stand man plaudernd an den Ecken oder zog singend durch die Straßen. Endlich schwieg der Lärm, auch die letzten Nachzügler schienen die Stadt verlassen zu haben und nur einzelne Bürger von Edinburg, die sich bei ihren Freunden verspätet hatten, stiegen noch von Canongate kommend die dunkle High-Street hinauf. Es waren ihrer drei, unter ihnen Sir Richard Lawson. Als sie in die Nähe der St. Giles Kirche gekommen waren und auf dem Platze standen, wo sich das Wahrzeichen der Stadt, das alte City-Kreuz auf seinem hohen, achteckigen Postamente erhob, hörten sie von der Brüstung her folgende Worte in die Nacht hineinrufen: Vernimm, König Jakob: zieh aus, zieh ein!
In vierzig Tagen bist Du mein.
Ob Schwert Dich trifft, ob Rosses Huf,
Du mußt gehorchen meinem Ruf.
Du bist gestrauchelt, ich hab Dich gewiß,
Das Licht muß enden in Finsterniß.
Die Bürger waren stehen geblieben; einige andere, die von der entgegengesetzten Seite des Platzes gekommen waren und dieselben Worte in aller Deutlichkeit gehört hatten, hatten sich zu ihnen gesellt. Man sprach laut hin und her, was zu thun und was zu lassen sei, konnte sich aber nicht einigen. Nichts desto weniger lief die Nachricht von dieser abermaligen Erscheinung wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und als der König am andern Morgen den Palast von Holyrood verließ, um in’s Lager zu reiten und sich an die Spitze des seiner harrenden Heeres zu stellen, lag eine Wolke auf seiner Stirn,
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/151>, abgerufen am 22.07.2024. |