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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts
gesprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen sie
sich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt
konnte, das können sie nun schon lange."

"Da treffen Sie's, Herr von Rex," sagte Dubslav.
"Genau so ist meiner auch. Ich kann nur wiederholen,
ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnsinn.
Wenn Koch das Heilserum erfindet oder Edison Ihnen
auf fünfzig Meilen eine Oper vorspielt, mit Getrampel
und Händeklatschen dazwischen, so weist Ihnen mein
Krippenstapel nach, daß er das vor dreißig Jahren auch
schon mit sich rumgetragen habe."

"Ja, ja, so sind sie alle."

"Übrigens ... Aber darf ich ihnen nicht noch von
diesem gebackenen Schinken vorlegen? ... Übrigens mahnt
mich Krippenstapel daran, daß die Feststellung eines Vor¬
mittagsprogramms wohl an der Zeit sein dürfte; Krippen¬
stapel ist nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden,
und durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die
Freude machen wollen, sich um Stechlin und Umgegend
ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See --
um den See natürlich am meisten, denn der ist unsre
piece de resistance. Das andere giebt es wo anders
auch, aber der See ... Lorenzen erklärt ihn außerdem
noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mit¬
rumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch
wirklich so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt,
so was lieber nicht sagen. Das sind so Geistreichigkeiten,
die leicht übel vermerkt werden. Ich persönlich lass' es
laufen. Es giebt nichts, was mir so verhaßt wäre wie
Polizeimaßregeln, oder einem Menschen, der gern ein freies
Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. Ich rede selber gern,
wie mir der Schnabel gewachsen ist."

"Und verplauderst dich dabei," sagte Woldemar, "und
vergißt zunächst unser Programm. Um spätestens zwei

Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts
geſprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen ſie
ſich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt
konnte, das können ſie nun ſchon lange.“

„Da treffen Sie's, Herr von Rex,“ ſagte Dubslav.
„Genau ſo iſt meiner auch. Ich kann nur wiederholen,
ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnſinn.
Wenn Koch das Heilſerum erfindet oder Ediſon Ihnen
auf fünfzig Meilen eine Oper vorſpielt, mit Getrampel
und Händeklatſchen dazwiſchen, ſo weiſt Ihnen mein
Krippenſtapel nach, daß er das vor dreißig Jahren auch
ſchon mit ſich rumgetragen habe.“

„Ja, ja, ſo ſind ſie alle.“

„Übrigens ... Aber darf ich ihnen nicht noch von
dieſem gebackenen Schinken vorlegen? ... Übrigens mahnt
mich Krippenſtapel daran, daß die Feſtſtellung eines Vor¬
mittagsprogramms wohl an der Zeit ſein dürfte; Krippen¬
ſtapel iſt nämlich der geborene Cicerone dieſer Gegenden,
und durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die
Freude machen wollen, ſich um Stechlin und Umgegend
ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See —
um den See natürlich am meiſten, denn der iſt unſre
pièce de résistance. Das andere giebt es wo anders
auch, aber der See ... Lorenzen erklärt ihn außerdem
noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mit¬
rumort, wenn irgendwo was los iſt. Und es iſt auch
wirklich ſo. Mein Paſtor aber ſollte, beiläufig bemerkt,
ſo was lieber nicht ſagen. Das ſind ſo Geiſtreichigkeiten,
die leicht übel vermerkt werden. Ich perſönlich laſſ' es
laufen. Es giebt nichts, was mir ſo verhaßt wäre wie
Polizeimaßregeln, oder einem Menſchen, der gern ein freies
Wort ſpricht, die Kehle zuzuſchnüren. Ich rede ſelber gern,
wie mir der Schnabel gewachſen iſt.“

„Und verplauderſt dich dabei,“ ſagte Woldemar, „und
vergißt zunächſt unſer Programm. Um ſpäteſtens zwei

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[64/0071] Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts geſprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen ſie ſich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt konnte, das können ſie nun ſchon lange.“ „Da treffen Sie's, Herr von Rex,“ ſagte Dubslav. „Genau ſo iſt meiner auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnſinn. Wenn Koch das Heilſerum erfindet oder Ediſon Ihnen auf fünfzig Meilen eine Oper vorſpielt, mit Getrampel und Händeklatſchen dazwiſchen, ſo weiſt Ihnen mein Krippenſtapel nach, daß er das vor dreißig Jahren auch ſchon mit ſich rumgetragen habe.“ „Ja, ja, ſo ſind ſie alle.“ „Übrigens ... Aber darf ich ihnen nicht noch von dieſem gebackenen Schinken vorlegen? ... Übrigens mahnt mich Krippenſtapel daran, daß die Feſtſtellung eines Vor¬ mittagsprogramms wohl an der Zeit ſein dürfte; Krippen¬ ſtapel iſt nämlich der geborene Cicerone dieſer Gegenden, und durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die Freude machen wollen, ſich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See — um den See natürlich am meiſten, denn der iſt unſre pièce de résistance. Das andere giebt es wo anders auch, aber der See ... Lorenzen erklärt ihn außerdem noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mit¬ rumort, wenn irgendwo was los iſt. Und es iſt auch wirklich ſo. Mein Paſtor aber ſollte, beiläufig bemerkt, ſo was lieber nicht ſagen. Das ſind ſo Geiſtreichigkeiten, die leicht übel vermerkt werden. Ich perſönlich laſſ' es laufen. Es giebt nichts, was mir ſo verhaßt wäre wie Polizeimaßregeln, oder einem Menſchen, der gern ein freies Wort ſpricht, die Kehle zuzuſchnüren. Ich rede ſelber gern, wie mir der Schnabel gewachſen iſt.“ „Und verplauderſt dich dabei,“ ſagte Woldemar, „und vergißt zunächſt unſer Programm. Um ſpäteſtens zwei

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/71>, abgerufen am 22.11.2024.