Sünde, heiß wie die Hölle", wie bereits Talleyrand gesagt haben soll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit so was über¬ haupt noch belästige. Schon mein Vater sagte mal: "Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten Wiener Kongreßwitze." Und das ist nun schon wieder ein Menschenalter her."
"Ach, diese alten Kongreßwitze", sagte Rex verbindlich, "ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß diese alten Witze besser sind als die neuen. Und kann auch kaum anders sein. Denn wer waren denn die Verfasser von damals? Talleyrand, den Sie schon genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier seit¬ dem sehr herabgestiegen ist."
"Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter nach unten. Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Pastor, den Sie ja gestern abend kennen gelernt haben, der behauptet sogar, das sei das Wahre, das sei das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach unten gestiegen würde. Die aristo¬ kratische Welt habe abgewirtschaftet, und nun komme die demokratische ..."
"Sonderbare Worte für einen Geistlichen," sagte Rex, "für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen sollte."
Dubslav lachte. "Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich muß bekennen, es hat manches für sich, trotzdem es mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Pastor, ja wohl noch beim zweiten Frühstück sehen, wo Sie dann Gelegenheit nehmen können, sich mit ihm persönlich darüber auseinanderzusetzen; er liebt solche Gespräche, wie Sie wohl schon gemerkt haben, und hat eine kleine Lutherneigung, sich immer auf das jetzt übliche: ,Hier steh' ich, ich kann nicht anders' auszuspielen. Mit¬ unter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine gewisse
Sünde, heiß wie die Hölle“, wie bereits Talleyrand geſagt haben ſoll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit ſo was über¬ haupt noch beläſtige. Schon mein Vater ſagte mal: „Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten Wiener Kongreßwitze.“ Und das iſt nun ſchon wieder ein Menſchenalter her.“
„Ach, dieſe alten Kongreßwitze“, ſagte Rex verbindlich, „ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß dieſe alten Witze beſſer ſind als die neuen. Und kann auch kaum anders ſein. Denn wer waren denn die Verfaſſer von damals? Talleyrand, den Sie ſchon genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier ſeit¬ dem ſehr herabgeſtiegen iſt.“
„Ja, herabgeſtiegen iſt alles, und es ſteigt immer weiter nach unten. Das iſt, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Paſtor, den Sie ja geſtern abend kennen gelernt haben, der behauptet ſogar, das ſei das Wahre, das ſei das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach unten geſtiegen würde. Die ariſto¬ kratiſche Welt habe abgewirtſchaftet, und nun komme die demokratiſche ...“
„Sonderbare Worte für einen Geiſtlichen,“ ſagte Rex, „für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen ſollte.“
Dubslav lachte. „Ja, das beſtreitet er Ihnen. Und ich muß bekennen, es hat manches für ſich, trotzdem es mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Paſtor, ja wohl noch beim zweiten Frühſtück ſehen, wo Sie dann Gelegenheit nehmen können, ſich mit ihm perſönlich darüber auseinanderzuſetzen; er liebt ſolche Geſpräche, wie Sie wohl ſchon gemerkt haben, und hat eine kleine Lutherneigung, ſich immer auf das jetzt übliche: ‚Hier ſteh' ich, ich kann nicht anders‘ auszuſpielen. Mit¬ unter ſieht es wirklich ſo aus, als ob wieder eine gewiſſe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0069"n="62"/>
Sünde, heiß wie die Hölle“, wie bereits Talleyrand geſagt<lb/>
haben ſoll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit ſo was über¬<lb/>
haupt noch beläſtige. Schon mein Vater ſagte mal: „Ja,<lb/>
wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten<lb/>
Wiener Kongreßwitze.“ Und das iſt nun ſchon wieder<lb/>
ein Menſchenalter her.“</p><lb/><p>„Ach, dieſe alten Kongreßwitze“, ſagte Rex verbindlich,<lb/>„ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major,<lb/>
daß dieſe alten Witze beſſer ſind als die neuen. Und<lb/>
kann auch kaum anders ſein. Denn wer waren denn<lb/>
die Verfaſſer von damals? Talleyrand, den Sie ſchon<lb/>
genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich<lb/>
Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier ſeit¬<lb/>
dem ſehr herabgeſtiegen iſt.“</p><lb/><p>„Ja, herabgeſtiegen iſt alles, und es ſteigt immer<lb/>
weiter nach unten. Das iſt, was man neue Zeit nennt,<lb/>
immer weiter runter. Und mein Paſtor, den Sie ja<lb/>
geſtern abend kennen gelernt haben, der behauptet ſogar,<lb/>
das ſei das Wahre, das ſei das, was man Kultur nenne,<lb/>
daß immer weiter nach unten geſtiegen würde. Die ariſto¬<lb/>
kratiſche Welt habe abgewirtſchaftet, und nun komme die<lb/>
demokratiſche ...“</p><lb/><p>„Sonderbare Worte für einen Geiſtlichen,“ſagte Rex,<lb/>„für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen<lb/>
Ordnungen kennen ſollte.“</p><lb/><p>Dubslav lachte. „Ja, das beſtreitet er Ihnen. Und<lb/>
ich muß bekennen, es hat manches für ſich, trotzdem es<lb/>
mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich<lb/>
meine den Paſtor, ja wohl noch beim zweiten Frühſtück<lb/>ſehen, wo Sie dann Gelegenheit nehmen können, ſich mit<lb/>
ihm perſönlich darüber auseinanderzuſetzen; er liebt ſolche<lb/>
Geſpräche, wie Sie wohl ſchon gemerkt haben, und hat<lb/>
eine kleine Lutherneigung, ſich immer auf das jetzt übliche:<lb/>‚Hier ſteh' ich, ich kann nicht anders‘ auszuſpielen. Mit¬<lb/>
unter ſieht es wirklich ſo aus, als ob wieder eine gewiſſe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[62/0069]
Sünde, heiß wie die Hölle“, wie bereits Talleyrand geſagt
haben ſoll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit ſo was über¬
haupt noch beläſtige. Schon mein Vater ſagte mal: „Ja,
wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten
Wiener Kongreßwitze.“ Und das iſt nun ſchon wieder
ein Menſchenalter her.“
„Ach, dieſe alten Kongreßwitze“, ſagte Rex verbindlich,
„ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major,
daß dieſe alten Witze beſſer ſind als die neuen. Und
kann auch kaum anders ſein. Denn wer waren denn
die Verfaſſer von damals? Talleyrand, den Sie ſchon
genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich
Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier ſeit¬
dem ſehr herabgeſtiegen iſt.“
„Ja, herabgeſtiegen iſt alles, und es ſteigt immer
weiter nach unten. Das iſt, was man neue Zeit nennt,
immer weiter runter. Und mein Paſtor, den Sie ja
geſtern abend kennen gelernt haben, der behauptet ſogar,
das ſei das Wahre, das ſei das, was man Kultur nenne,
daß immer weiter nach unten geſtiegen würde. Die ariſto¬
kratiſche Welt habe abgewirtſchaftet, und nun komme die
demokratiſche ...“
„Sonderbare Worte für einen Geiſtlichen,“ ſagte Rex,
„für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen
Ordnungen kennen ſollte.“
Dubslav lachte. „Ja, das beſtreitet er Ihnen. Und
ich muß bekennen, es hat manches für ſich, trotzdem es
mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich
meine den Paſtor, ja wohl noch beim zweiten Frühſtück
ſehen, wo Sie dann Gelegenheit nehmen können, ſich mit
ihm perſönlich darüber auseinanderzuſetzen; er liebt ſolche
Geſpräche, wie Sie wohl ſchon gemerkt haben, und hat
eine kleine Lutherneigung, ſich immer auf das jetzt übliche:
‚Hier ſteh' ich, ich kann nicht anders‘ auszuſpielen. Mit¬
unter ſieht es wirklich ſo aus, als ob wieder eine gewiſſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/69>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.