ganz genau sagen, wer dann hier in diesem alten Kasten, der dann aber renoviert sein wird, antritt. Da ist in erster Reihe der Minister von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltstellung unter Bismarck, von langer Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachsen¬ walder hat, und eröffnet die Polonaise mit Armgard. Und dann ist da ein Professor, Kathedersozialist, von dem kein Mensch weiß, ob er die Gesellschaft einrenken oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige, mit kurzgeschnittenem Haar (die natürlich schriftstellert) zur Quadrille. Und dann bewegen sich da noch ein Afrika¬ reisender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn sie nach den ersten Tänzen eine Pause machen, dann stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein französisches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬ geschnittenen Haar übersetzt hat, ein sogenanntes Ehe¬ bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil sie ihren Mann mit einem Taschenrevolver über den Haufen geschossen hat. Und dann giebt es Musikstücke, bei denen der Klavierspieler mit seiner langen Mähne über die Tasten hinfegt, und in einer Nebenstube sitzen andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬ rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiser Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwischen Mazzini und Garibaldi, und Marx und Lassalle, die aber wenigstens tot sind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und dann sagt Wol¬ demar: ,Sehen Sie da den Bebel. Mein politischer Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz.' Und wenn dann ein Adeliger aus der Residenz an ihn herantritt und ihm sagt: ,Ich bin überrascht, Herr von Stechlin, -- ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden,' dann sagt Woldemar: ,Ich habe die Fühlung mit diesem Herrn verloren.'"
ganz genau ſagen, wer dann hier in dieſem alten Kaſten, der dann aber renoviert ſein wird, antritt. Da iſt in erſter Reihe der Miniſter von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltſtellung unter Bismarck, von langer Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachſen¬ walder hat, und eröffnet die Polonaiſe mit Armgard. Und dann iſt da ein Profeſſor, Kathederſozialiſt, von dem kein Menſch weiß, ob er die Geſellſchaft einrenken oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige, mit kurzgeſchnittenem Haar (die natürlich ſchriftſtellert) zur Quadrille. Und dann bewegen ſich da noch ein Afrika¬ reiſender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn ſie nach den erſten Tänzen eine Pauſe machen, dann ſtellen ſie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem Edelmann erſchoſſen wird, oder ſie führen ein franzöſiſches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬ geſchnittenen Haar überſetzt hat, ein ſogenanntes Ehe¬ bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil ſie ihren Mann mit einem Taſchenrevolver über den Haufen geſchoſſen hat. Und dann giebt es Muſikſtücke, bei denen der Klavierſpieler mit ſeiner langen Mähne über die Taſten hinfegt, und in einer Nebenſtube ſitzen andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬ rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiſer Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwiſchen Mazzini und Garibaldi, und Marx und Laſſalle, die aber wenigſtens tot ſind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und dann ſagt Wol¬ demar: ‚Sehen Sie da den Bebel. Mein politiſcher Gegner, aber ein Mann von Geſinnung und Intelligenz.‘ Und wenn dann ein Adeliger aus der Reſidenz an ihn herantritt und ihm ſagt: ‚Ich bin überraſcht, Herr von Stechlin, — ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden,‘ dann ſagt Woldemar: ‚Ich habe die Fühlung mit dieſem Herrn verloren.‘“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0496"n="489"/>
ganz genau ſagen, wer dann hier in dieſem alten<lb/>
Kaſten, der dann aber renoviert ſein wird, antritt. Da<lb/>
iſt in erſter Reihe der Miniſter von Ritzenberg geladen,<lb/>
der, wegen Kaltſtellung unter Bismarck, von langer<lb/>
Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachſen¬<lb/>
walder hat, und eröffnet die Polonaiſe mit Armgard.<lb/>
Und dann iſt da ein Profeſſor, Kathederſozialiſt, von<lb/>
dem kein Menſch weiß, ob er die Geſellſchaft einrenken<lb/>
oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige,<lb/>
mit kurzgeſchnittenem Haar (die natürlich ſchriftſtellert)<lb/>
zur Quadrille. Und dann bewegen ſich da noch ein Afrika¬<lb/>
reiſender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn<lb/>ſie nach den erſten Tänzen eine Pauſe machen, dann<lb/>ſtellen ſie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von<lb/>
einem Edelmann erſchoſſen wird, oder ſie führen ein<lb/>
franzöſiſches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬<lb/>
geſchnittenen Haar überſetzt hat, ein ſogenanntes Ehe¬<lb/>
bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil<lb/>ſie ihren Mann mit einem Taſchenrevolver über den<lb/>
Haufen geſchoſſen hat. Und dann giebt es Muſikſtücke,<lb/>
bei denen der Klavierſpieler mit ſeiner langen Mähne<lb/>
über die Taſten hinfegt, und in einer Nebenſtube ſitzen<lb/>
andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬<lb/>
rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und<lb/>
Kaiſer Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz<lb/>
gemütlich dazwiſchen Mazzini und Garibaldi, und<lb/>
Marx und Laſſalle, die aber wenigſtens tot ſind, und<lb/>
daneben Bebel und Liebknecht. Und dann ſagt Wol¬<lb/>
demar: ‚Sehen Sie da den Bebel. Mein politiſcher<lb/>
Gegner, aber ein Mann von Geſinnung und Intelligenz.‘<lb/>
Und wenn dann ein Adeliger aus der Reſidenz an ihn<lb/>
herantritt und ihm ſagt: ‚Ich bin überraſcht, Herr von<lb/>
Stechlin, — ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu<lb/>
finden,‘ dann ſagt Woldemar: ‚Ich habe die Fühlung<lb/>
mit dieſem Herrn verloren.‘“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[489/0496]
ganz genau ſagen, wer dann hier in dieſem alten
Kaſten, der dann aber renoviert ſein wird, antritt. Da
iſt in erſter Reihe der Miniſter von Ritzenberg geladen,
der, wegen Kaltſtellung unter Bismarck, von langer
Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachſen¬
walder hat, und eröffnet die Polonaiſe mit Armgard.
Und dann iſt da ein Profeſſor, Kathederſozialiſt, von
dem kein Menſch weiß, ob er die Geſellſchaft einrenken
oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige,
mit kurzgeſchnittenem Haar (die natürlich ſchriftſtellert)
zur Quadrille. Und dann bewegen ſich da noch ein Afrika¬
reiſender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn
ſie nach den erſten Tänzen eine Pauſe machen, dann
ſtellen ſie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von
einem Edelmann erſchoſſen wird, oder ſie führen ein
franzöſiſches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬
geſchnittenen Haar überſetzt hat, ein ſogenanntes Ehe¬
bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil
ſie ihren Mann mit einem Taſchenrevolver über den
Haufen geſchoſſen hat. Und dann giebt es Muſikſtücke,
bei denen der Klavierſpieler mit ſeiner langen Mähne
über die Taſten hinfegt, und in einer Nebenſtube ſitzen
andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬
rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und
Kaiſer Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz
gemütlich dazwiſchen Mazzini und Garibaldi, und
Marx und Laſſalle, die aber wenigſtens tot ſind, und
daneben Bebel und Liebknecht. Und dann ſagt Wol¬
demar: ‚Sehen Sie da den Bebel. Mein politiſcher
Gegner, aber ein Mann von Geſinnung und Intelligenz.‘
Und wenn dann ein Adeliger aus der Reſidenz an ihn
herantritt und ihm ſagt: ‚Ich bin überraſcht, Herr von
Stechlin, — ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu
finden,‘ dann ſagt Woldemar: ‚Ich habe die Fühlung
mit dieſem Herrn verloren.‘“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/496>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.