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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ganz genau sagen, wer dann hier in diesem alten
Kasten, der dann aber renoviert sein wird, antritt. Da
ist in erster Reihe der Minister von Ritzenberg geladen,
der, wegen Kaltstellung unter Bismarck, von langer
Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachsen¬
walder hat, und eröffnet die Polonaise mit Armgard.
Und dann ist da ein Professor, Kathedersozialist, von
dem kein Mensch weiß, ob er die Gesellschaft einrenken
oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige,
mit kurzgeschnittenem Haar (die natürlich schriftstellert)
zur Quadrille. Und dann bewegen sich da noch ein Afrika¬
reisender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn
sie nach den ersten Tänzen eine Pause machen, dann
stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von
einem Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein
französisches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬
geschnittenen Haar übersetzt hat, ein sogenanntes Ehe¬
bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil
sie ihren Mann mit einem Taschenrevolver über den
Haufen geschossen hat. Und dann giebt es Musikstücke,
bei denen der Klavierspieler mit seiner langen Mähne
über die Tasten hinfegt, und in einer Nebenstube sitzen
andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬
rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und
Kaiser Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz
gemütlich dazwischen Mazzini und Garibaldi, und
Marx und Lassalle, die aber wenigstens tot sind, und
daneben Bebel und Liebknecht. Und dann sagt Wol¬
demar: ,Sehen Sie da den Bebel. Mein politischer
Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz.'
Und wenn dann ein Adeliger aus der Residenz an ihn
herantritt und ihm sagt: ,Ich bin überrascht, Herr von
Stechlin, -- ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu
finden,' dann sagt Woldemar: ,Ich habe die Fühlung
mit diesem Herrn verloren.'"

ganz genau ſagen, wer dann hier in dieſem alten
Kaſten, der dann aber renoviert ſein wird, antritt. Da
iſt in erſter Reihe der Miniſter von Ritzenberg geladen,
der, wegen Kaltſtellung unter Bismarck, von langer
Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachſen¬
walder hat, und eröffnet die Polonaiſe mit Armgard.
Und dann iſt da ein Profeſſor, Kathederſozialiſt, von
dem kein Menſch weiß, ob er die Geſellſchaft einrenken
oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige,
mit kurzgeſchnittenem Haar (die natürlich ſchriftſtellert)
zur Quadrille. Und dann bewegen ſich da noch ein Afrika¬
reiſender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn
ſie nach den erſten Tänzen eine Pauſe machen, dann
ſtellen ſie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von
einem Edelmann erſchoſſen wird, oder ſie führen ein
franzöſiſches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬
geſchnittenen Haar überſetzt hat, ein ſogenanntes Ehe¬
bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil
ſie ihren Mann mit einem Taſchenrevolver über den
Haufen geſchoſſen hat. Und dann giebt es Muſikſtücke,
bei denen der Klavierſpieler mit ſeiner langen Mähne
über die Taſten hinfegt, und in einer Nebenſtube ſitzen
andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬
rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und
Kaiſer Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz
gemütlich dazwiſchen Mazzini und Garibaldi, und
Marx und Laſſalle, die aber wenigſtens tot ſind, und
daneben Bebel und Liebknecht. Und dann ſagt Wol¬
demar: ‚Sehen Sie da den Bebel. Mein politiſcher
Gegner, aber ein Mann von Geſinnung und Intelligenz.‘
Und wenn dann ein Adeliger aus der Reſidenz an ihn
herantritt und ihm ſagt: ‚Ich bin überraſcht, Herr von
Stechlin, — ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu
finden,‘ dann ſagt Woldemar: ‚Ich habe die Fühlung
mit dieſem Herrn verloren.‘“

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[489/0496] ganz genau ſagen, wer dann hier in dieſem alten Kaſten, der dann aber renoviert ſein wird, antritt. Da iſt in erſter Reihe der Miniſter von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltſtellung unter Bismarck, von langer Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachſen¬ walder hat, und eröffnet die Polonaiſe mit Armgard. Und dann iſt da ein Profeſſor, Kathederſozialiſt, von dem kein Menſch weiß, ob er die Geſellſchaft einrenken oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige, mit kurzgeſchnittenem Haar (die natürlich ſchriftſtellert) zur Quadrille. Und dann bewegen ſich da noch ein Afrika¬ reiſender, ein Architekt und ein Portraitmaler, und wenn ſie nach den erſten Tänzen eine Pauſe machen, dann ſtellen ſie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem Edelmann erſchoſſen wird, oder ſie führen ein franzöſiſches Stück auf, das die Dame mit dem kurz¬ geſchnittenen Haar überſetzt hat, ein ſogenanntes Ehe¬ bruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil ſie ihren Mann mit einem Taſchenrevolver über den Haufen geſchoſſen hat. Und dann giebt es Muſikſtücke, bei denen der Klavierſpieler mit ſeiner langen Mähne über die Taſten hinfegt, und in einer Nebenſtube ſitzen andere und blättern in einem Album mit lauter Be¬ rühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiſer Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwiſchen Mazzini und Garibaldi, und Marx und Laſſalle, die aber wenigſtens tot ſind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und dann ſagt Wol¬ demar: ‚Sehen Sie da den Bebel. Mein politiſcher Gegner, aber ein Mann von Geſinnung und Intelligenz.‘ Und wenn dann ein Adeliger aus der Reſidenz an ihn herantritt und ihm ſagt: ‚Ich bin überraſcht, Herr von Stechlin, — ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden,‘ dann ſagt Woldemar: ‚Ich habe die Fühlung mit dieſem Herrn verloren.‘“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/496>, abgerufen am 22.11.2024.