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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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undsechzigste, und wenn ein richtiger Stechlin ins Sieben¬
undsechzigste geht, dann geht er auch in Tod und Grab.
Das is so Familientradition. Ich wollte, wir hätten
eine andre. Denn der Mensch is nun mal feige und
will dies schändliche Leben gern weiterleben."

"Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie
haben ein sehr gutes Leben gehabt."

"Na, wenn es nur wahr ist! Ich weiß nicht, ob
alle Globsower ebenso denken. Und die bringen mich
wieder auf mein Hauptthema."

"Und das lautet?"

"Das lautet: ,Teuerster Pastor, sorgen Sie dafür,
daß die Globsower nicht zu sehr obenauf kommen.'"

"Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute ..."

"Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das
war mal richtig; heutzutage aber paßt es nicht mehr.
Und solch unsichere Passagiere wie mein Woldemar und
wie mein lieber Lorenzen (von dem der Junge, Par¬
don, all den Unsinn hat), solche unsichere Passagiere,
statt den Riegel vorzuschieben, kommen den Torgelow¬
schen auf halbem Wege entgegen und sagen: ,Ja, ja,
Töffel, du hast auch eigentlich ganz recht,' oder, was
noch schlimmer ist: ,Ja, ja, Jochem, wir wollen mal
nachschlagen.'"

"Aber, Herr von Stechlin."

"Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch solch gutes
Gesicht machen, es ist doch so. Die ganze Geschichte
wird auf einen andern Leisten gebracht, und wenn dann
wieder eine Wahl ist, dann fährt der Woldemar 'rum
und erzählt überall, ,Katzenstein sei der rechte Mann'.
Oder irgend ein andrer. Aber das ist Mus wie Mine;
-- verzeihen Sie den etwas fortgeschrittenen Ausdruck.
Und wenn dann die junge gnädige Frau Besuch kriegt
oder wohl gar einen Ball giebt, da will ich Ihnen

undſechzigſte, und wenn ein richtiger Stechlin ins Sieben¬
undſechzigſte geht, dann geht er auch in Tod und Grab.
Das is ſo Familientradition. Ich wollte, wir hätten
eine andre. Denn der Menſch is nun mal feige und
will dies ſchändliche Leben gern weiterleben.“

„Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie
haben ein ſehr gutes Leben gehabt.“

„Na, wenn es nur wahr iſt! Ich weiß nicht, ob
alle Globſower ebenſo denken. Und die bringen mich
wieder auf mein Hauptthema.“

„Und das lautet?“

„Das lautet: ‚Teuerſter Paſtor, ſorgen Sie dafür,
daß die Globſower nicht zu ſehr obenauf kommen.‘“

„Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute ...“

„Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das
war mal richtig; heutzutage aber paßt es nicht mehr.
Und ſolch unſichere Paſſagiere wie mein Woldemar und
wie mein lieber Lorenzen (von dem der Junge, Par¬
don, all den Unſinn hat), ſolche unſichere Paſſagiere,
ſtatt den Riegel vorzuſchieben, kommen den Torgelow¬
ſchen auf halbem Wege entgegen und ſagen: ‚Ja, ja,
Töffel, du haſt auch eigentlich ganz recht,‘ oder, was
noch ſchlimmer iſt: ,Ja, ja, Jochem, wir wollen mal
nachſchlagen.‘“

„Aber, Herr von Stechlin.“

„Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch ſolch gutes
Geſicht machen, es iſt doch ſo. Die ganze Geſchichte
wird auf einen andern Leiſten gebracht, und wenn dann
wieder eine Wahl iſt, dann fährt der Woldemar 'rum
und erzählt überall, ‚Katzenſtein ſei der rechte Mann‘.
Oder irgend ein andrer. Aber das iſt Mus wie Mine;
— verzeihen Sie den etwas fortgeſchrittenen Ausdruck.
Und wenn dann die junge gnädige Frau Beſuch kriegt
oder wohl gar einen Ball giebt, da will ich Ihnen

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[488/0495] undſechzigſte, und wenn ein richtiger Stechlin ins Sieben¬ undſechzigſte geht, dann geht er auch in Tod und Grab. Das is ſo Familientradition. Ich wollte, wir hätten eine andre. Denn der Menſch is nun mal feige und will dies ſchändliche Leben gern weiterleben.“ „Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie haben ein ſehr gutes Leben gehabt.“ „Na, wenn es nur wahr iſt! Ich weiß nicht, ob alle Globſower ebenſo denken. Und die bringen mich wieder auf mein Hauptthema.“ „Und das lautet?“ „Das lautet: ‚Teuerſter Paſtor, ſorgen Sie dafür, daß die Globſower nicht zu ſehr obenauf kommen.‘“ „Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute ...“ „Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das war mal richtig; heutzutage aber paßt es nicht mehr. Und ſolch unſichere Paſſagiere wie mein Woldemar und wie mein lieber Lorenzen (von dem der Junge, Par¬ don, all den Unſinn hat), ſolche unſichere Paſſagiere, ſtatt den Riegel vorzuſchieben, kommen den Torgelow¬ ſchen auf halbem Wege entgegen und ſagen: ‚Ja, ja, Töffel, du haſt auch eigentlich ganz recht,‘ oder, was noch ſchlimmer iſt: ,Ja, ja, Jochem, wir wollen mal nachſchlagen.‘“ „Aber, Herr von Stechlin.“ „Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch ſolch gutes Geſicht machen, es iſt doch ſo. Die ganze Geſchichte wird auf einen andern Leiſten gebracht, und wenn dann wieder eine Wahl iſt, dann fährt der Woldemar 'rum und erzählt überall, ‚Katzenſtein ſei der rechte Mann‘. Oder irgend ein andrer. Aber das iſt Mus wie Mine; — verzeihen Sie den etwas fortgeſchrittenen Ausdruck. Und wenn dann die junge gnädige Frau Beſuch kriegt oder wohl gar einen Ball giebt, da will ich Ihnen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/495>, abgerufen am 22.11.2024.