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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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höre auf seine Scholle, und je mehr er mit der ver¬
wachse, desto besser sei es. Das ist auch richtig. Aber
etwas ganz Richtiges giebt es nicht. Und so muß ich
denn sagen, es war doch 'was Erquickliches, den alten
Wilhelm so jeden Tag vor Augen zu haben. Hab'
ihn freilich immer nur flüchtig gesehn, aber auch das
war schon eine Herzensfreude. Sie nennen ihn jetzt
den ,Großen' und stellen ihn neben Fridericus Rex.
Nun, so einer war er sicherlich nicht, an den reicht er
nicht 'ran. Aber als Mensch war er ihm über, und das
giebt, mein' ich, in gewissem Sinne den Ausschlag,
wenn auch zur ,Größe' noch was anders gehört. Ja,
der alte Fritz! Man kann ihn nicht hoch genug stellen;
nur in einem Punkte find' ich trotzdem, daß wir eine
falsche Position ihm gegenüber einnehmen, gerade wir
vom Adel. Er war nicht so sehr für uns, wie wir
immer glauben oder wenigstens nach außen hin ver¬
sichern. Er war für sich und für das Land oder, wie
er zu sagen liebte, ,für den Staat'. Aber daß wir
als Stand und Kaste so recht was von ihm gehabt
hätten, das ist eine Einbildung."

"Überrascht mich, aus Ihrem Munde zu hören."

"Ist aber doch wohl richtig. Wie lag es denn
eigentlich? Wir hatten die Ehre, für König und Vater¬
land hungern und dursten und sterben zu dürfen, sind
aber nie gefragt worden, ob uns das auch passe. Nur
dann und wann erfuhren wir, daß wir ,Edelleute' seien
und als solche mehr ,Ehre' hätten. Aber damit war
es auch gethan. In seiner innersten Seele rief er uns
eigentlich genau dasselbe zu, wie den Grenadieren bei
Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm
mit meist sehr kritischem Auge betrachtet. Alles in allem,
lieber Graf, find' ich unser Jahr dreizehn eigentlich um
ein Erhebliches größer, weil alles, was geschah, weniger
den Befehlscharakter trug und mehr Freiheit und Selbst¬

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höre auf ſeine Scholle, und je mehr er mit der ver¬
wachſe, deſto beſſer ſei es. Das iſt auch richtig. Aber
etwas ganz Richtiges giebt es nicht. Und ſo muß ich
denn ſagen, es war doch 'was Erquickliches, den alten
Wilhelm ſo jeden Tag vor Augen zu haben. Hab'
ihn freilich immer nur flüchtig geſehn, aber auch das
war ſchon eine Herzensfreude. Sie nennen ihn jetzt
den ‚Großen‘ und ſtellen ihn neben Fridericus Rex.
Nun, ſo einer war er ſicherlich nicht, an den reicht er
nicht 'ran. Aber als Menſch war er ihm über, und das
giebt, mein' ich, in gewiſſem Sinne den Ausſchlag,
wenn auch zur ‚Größe‘ noch was anders gehört. Ja,
der alte Fritz! Man kann ihn nicht hoch genug ſtellen;
nur in einem Punkte find' ich trotzdem, daß wir eine
falſche Poſition ihm gegenüber einnehmen, gerade wir
vom Adel. Er war nicht ſo ſehr für uns, wie wir
immer glauben oder wenigſtens nach außen hin ver¬
ſichern. Er war für ſich und für das Land oder, wie
er zu ſagen liebte, ‚für den Staat‘. Aber daß wir
als Stand und Kaſte ſo recht was von ihm gehabt
hätten, das iſt eine Einbildung.“

„Überraſcht mich, aus Ihrem Munde zu hören.“

„Iſt aber doch wohl richtig. Wie lag es denn
eigentlich? Wir hatten die Ehre, für König und Vater¬
land hungern und durſten und ſterben zu dürfen, ſind
aber nie gefragt worden, ob uns das auch paſſe. Nur
dann und wann erfuhren wir, daß wir ,Edelleute‘ ſeien
und als ſolche mehr ,Ehre‘ hätten. Aber damit war
es auch gethan. In ſeiner innerſten Seele rief er uns
eigentlich genau dasſelbe zu, wie den Grenadieren bei
Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm
mit meiſt ſehr kritiſchem Auge betrachtet. Alles in allem,
lieber Graf, find' ich unſer Jahr dreizehn eigentlich um
ein Erhebliches größer, weil alles, was geſchah, weniger
den Befehlscharakter trug und mehr Freiheit und Selbſt¬

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[403/0410] höre auf ſeine Scholle, und je mehr er mit der ver¬ wachſe, deſto beſſer ſei es. Das iſt auch richtig. Aber etwas ganz Richtiges giebt es nicht. Und ſo muß ich denn ſagen, es war doch 'was Erquickliches, den alten Wilhelm ſo jeden Tag vor Augen zu haben. Hab' ihn freilich immer nur flüchtig geſehn, aber auch das war ſchon eine Herzensfreude. Sie nennen ihn jetzt den ‚Großen‘ und ſtellen ihn neben Fridericus Rex. Nun, ſo einer war er ſicherlich nicht, an den reicht er nicht 'ran. Aber als Menſch war er ihm über, und das giebt, mein' ich, in gewiſſem Sinne den Ausſchlag, wenn auch zur ‚Größe‘ noch was anders gehört. Ja, der alte Fritz! Man kann ihn nicht hoch genug ſtellen; nur in einem Punkte find' ich trotzdem, daß wir eine falſche Poſition ihm gegenüber einnehmen, gerade wir vom Adel. Er war nicht ſo ſehr für uns, wie wir immer glauben oder wenigſtens nach außen hin ver¬ ſichern. Er war für ſich und für das Land oder, wie er zu ſagen liebte, ‚für den Staat‘. Aber daß wir als Stand und Kaſte ſo recht was von ihm gehabt hätten, das iſt eine Einbildung.“ „Überraſcht mich, aus Ihrem Munde zu hören.“ „Iſt aber doch wohl richtig. Wie lag es denn eigentlich? Wir hatten die Ehre, für König und Vater¬ land hungern und durſten und ſterben zu dürfen, ſind aber nie gefragt worden, ob uns das auch paſſe. Nur dann und wann erfuhren wir, daß wir ,Edelleute‘ ſeien und als ſolche mehr ,Ehre‘ hätten. Aber damit war es auch gethan. In ſeiner innerſten Seele rief er uns eigentlich genau dasſelbe zu, wie den Grenadieren bei Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm mit meiſt ſehr kritiſchem Auge betrachtet. Alles in allem, lieber Graf, find' ich unſer Jahr dreizehn eigentlich um ein Erhebliches größer, weil alles, was geſchah, weniger den Befehlscharakter trug und mehr Freiheit und Selbſt¬ 26 *

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/410>, abgerufen am 22.11.2024.