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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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gerade hier in unsrer Einsamkeit. Und dabei das be¬
ständige Schwanken der Kurse. Namentlich auch in der
Mühlen- und Brettschneidebranche ..."

"Versteht sich, lieber Gundermann. Was ich da
gesagt habe ... Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte,
wäre es ebenso richtig. Der Teufel is nich so schwarz,
wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht,
und wir auch nicht. Schließlich ist es doch was Großes,
diese Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp,
tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt
nichts daran), so könnten wir den Kaiser von China
wissen lassen, daß wir hier versammelt sind und seiner
gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Ver¬
schiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als
Anno siebzig die Pariser Septemberrevolution ausbrach,
wußte man's in Amerika drüben um ein paar Stunden
früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich
sagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch 'ne
andre gewesen sein; sie haben da so viele, daß man sie
leicht verwechselt. Eine war im Juni, 'ne andre war
im Juli, -- wer nich ein Bombengedächtnis hat, muß
da notwendig 'reinfallen ... Engelke, präsentiere der
gnäd'gen Frau den Fisch noch mal. Und vielleicht
nimmt auch Herr von Czako ..."

"Gewiß, Herr von Stechlin," sagte Czako. "Erst¬
lich aus reiner Gourmandise, dann aber auch aus
Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis. Man will doch
an dem, was gerade gilt oder überhaupt Menschheits¬
entwickelung bedeutet, auch seinerseits nach Möglichkeit
teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan.
Fische sollen außerdem viel Phosphor enthalten, und
Phosphor, so heißt es, macht ,helle'."

"Gewiß," kicherte Frau von Gundermann, die
sich bei dem Wort "helle" wie persönlich getroffen
fühlte. "Phosphor war ja auch schon, eh' die Schwe¬
dischen aufkamen."

gerade hier in unſrer Einſamkeit. Und dabei das be¬
ſtändige Schwanken der Kurſe. Namentlich auch in der
Mühlen- und Brettſchneidebranche ...“

„Verſteht ſich, lieber Gundermann. Was ich da
geſagt habe ... Wenn ich das Gegenteil geſagt hätte,
wäre es ebenſo richtig. Der Teufel is nich ſo ſchwarz,
wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht,
und wir auch nicht. Schließlich iſt es doch was Großes,
dieſe Naturwiſſenſchaften, dieſer elektriſche Strom, tipp,
tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt
nichts daran), ſo könnten wir den Kaiſer von China
wiſſen laſſen, daß wir hier verſammelt ſind und ſeiner
gedacht haben. Und dabei dieſe merkwürdigen Ver¬
ſchiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komiſch. Als
Anno ſiebzig die Pariſer Septemberrevolution ausbrach,
wußte man's in Amerika drüben um ein paar Stunden
früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich
ſagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch 'ne
andre geweſen ſein; ſie haben da ſo viele, daß man ſie
leicht verwechſelt. Eine war im Juni, 'ne andre war
im Juli, — wer nich ein Bombengedächtnis hat, muß
da notwendig 'reinfallen ... Engelke, präſentiere der
gnäd'gen Frau den Fiſch noch mal. Und vielleicht
nimmt auch Herr von Czako ...“

„Gewiß, Herr von Stechlin,“ ſagte Czako. „Erſt¬
lich aus reiner Gourmandiſe, dann aber auch aus
Forſchertrieb oder Fortſchrittsbedürfnis. Man will doch
an dem, was gerade gilt oder überhaupt Menſchheits¬
entwickelung bedeutet, auch ſeinerſeits nach Möglichkeit
teilnehmen, und da ſteht denn Fiſchnahrung jetzt obenan.
Fiſche ſollen außerdem viel Phosphor enthalten, und
Phosphor, ſo heißt es, macht ‚helle‘.“

„Gewiß,“ kicherte Frau von Gundermann, die
ſich bei dem Wort „helle“ wie perſönlich getroffen
fühlte. „Phosphor war ja auch ſchon, eh' die Schwe¬
diſchen aufkamen.“

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[30/0037] gerade hier in unſrer Einſamkeit. Und dabei das be¬ ſtändige Schwanken der Kurſe. Namentlich auch in der Mühlen- und Brettſchneidebranche ...“ „Verſteht ſich, lieber Gundermann. Was ich da geſagt habe ... Wenn ich das Gegenteil geſagt hätte, wäre es ebenſo richtig. Der Teufel is nich ſo ſchwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht, und wir auch nicht. Schließlich iſt es doch was Großes, dieſe Naturwiſſenſchaften, dieſer elektriſche Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), ſo könnten wir den Kaiſer von China wiſſen laſſen, daß wir hier verſammelt ſind und ſeiner gedacht haben. Und dabei dieſe merkwürdigen Ver¬ ſchiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komiſch. Als Anno ſiebzig die Pariſer Septemberrevolution ausbrach, wußte man's in Amerika drüben um ein paar Stunden früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich ſagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch 'ne andre geweſen ſein; ſie haben da ſo viele, daß man ſie leicht verwechſelt. Eine war im Juni, 'ne andre war im Juli, — wer nich ein Bombengedächtnis hat, muß da notwendig 'reinfallen ... Engelke, präſentiere der gnäd'gen Frau den Fiſch noch mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako ...“ „Gewiß, Herr von Stechlin,“ ſagte Czako. „Erſt¬ lich aus reiner Gourmandiſe, dann aber auch aus Forſchertrieb oder Fortſchrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade gilt oder überhaupt Menſchheits¬ entwickelung bedeutet, auch ſeinerſeits nach Möglichkeit teilnehmen, und da ſteht denn Fiſchnahrung jetzt obenan. Fiſche ſollen außerdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, ſo heißt es, macht ‚helle‘.“ „Gewiß,“ kicherte Frau von Gundermann, die ſich bei dem Wort „helle“ wie perſönlich getroffen fühlte. „Phosphor war ja auch ſchon, eh' die Schwe¬ diſchen aufkamen.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/37>, abgerufen am 24.11.2024.