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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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auch noch berühme. Wer ist demütig? Wir alle sind im
letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber das
darf ich sagen, ich habe den Willen dazu."

"Und schon der gilt, Frau Gräfin. Nur freilich ist
Demut nicht genug; sie schafft nicht, sie fördert nicht nach
außen, sie belebt kaum."

"Und ist doch mindestens der Anfang zum Bessern,
weil sie mit dem Egoismus aufräumt. Wer die Staffel
hinauf will, muß eben von unten an dienen. Und soviel
bleibt, es birgt sich in ihr die Lösung jeder Frage, die
jetzt die Welt bewegt. Demütig sein heißt christlich sein,
christlich in meinem, vielleicht darf ich sagen in unsrem
Sinne. Demut erschrickt vor dem zweierlei Maß. Wer
demütig ist, der ist duldsam, weil er weiß, wie sehr er
selbst der Duldsamkeit bedarf; wer demütig ist, der sieht
die Scheidewände fallen und erblickt den Menschen im
Menschen."

"Ich kann Ihnen zustimmen," lächelte Lorenzen.
"Aber wenn ich, Frau Gräfin, in Ihren Mienen richtig
lese, so sind diese Bekenntnisse doch nur Einleitung zu
was andrem. Sie halten noch das Eigentliche zurück und
verbinden mit Ihrer Aussprache, so sonderbar es klingen
mag, etwas Spezielles und beinah' Praktisches."

"Und ich freue mich, daß Sie das herausgefühlt
haben. Es ist so. Wir kommen da eben von Ihrem
Stechlin her, von Ihrem See, dem Besten, was sie hier
haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, als das Eis
aufgeschlagen werden sollte, denn alles Eingreifen oder
auch nur Einblicken in das, was sich verbirgt, erschreckt
mich. Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich
auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über
kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte,
so weit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber
für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor
allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen

auch noch berühme. Wer iſt demütig? Wir alle ſind im
letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber das
darf ich ſagen, ich habe den Willen dazu.“

„Und ſchon der gilt, Frau Gräfin. Nur freilich iſt
Demut nicht genug; ſie ſchafft nicht, ſie fördert nicht nach
außen, ſie belebt kaum.“

„Und iſt doch mindeſtens der Anfang zum Beſſern,
weil ſie mit dem Egoismus aufräumt. Wer die Staffel
hinauf will, muß eben von unten an dienen. Und ſoviel
bleibt, es birgt ſich in ihr die Löſung jeder Frage, die
jetzt die Welt bewegt. Demütig ſein heißt chriſtlich ſein,
chriſtlich in meinem, vielleicht darf ich ſagen in unſrem
Sinne. Demut erſchrickt vor dem zweierlei Maß. Wer
demütig iſt, der iſt duldſam, weil er weiß, wie ſehr er
ſelbſt der Duldſamkeit bedarf; wer demütig iſt, der ſieht
die Scheidewände fallen und erblickt den Menſchen im
Menſchen.“

„Ich kann Ihnen zuſtimmen,“ lächelte Lorenzen.
„Aber wenn ich, Frau Gräfin, in Ihren Mienen richtig
leſe, ſo ſind dieſe Bekenntniſſe doch nur Einleitung zu
was andrem. Sie halten noch das Eigentliche zurück und
verbinden mit Ihrer Ausſprache, ſo ſonderbar es klingen
mag, etwas Spezielles und beinah' Praktiſches.“

„Und ich freue mich, daß Sie das herausgefühlt
haben. Es iſt ſo. Wir kommen da eben von Ihrem
Stechlin her, von Ihrem See, dem Beſten, was ſie hier
haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, als das Eis
aufgeſchlagen werden ſollte, denn alles Eingreifen oder
auch nur Einblicken in das, was ſich verbirgt, erſchreckt
mich. Ich reſpektiere das Gegebene. Daneben aber freilich
auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über
kurz oder lang abermals ein Gegebenes ſein. Alles Alte,
ſo weit es Anſpruch darauf hat, ſollen wir lieben, aber
für das Neue ſollen wir recht eigentlich leben. Und vor
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[354/0361] auch noch berühme. Wer iſt demütig? Wir alle ſind im letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber das darf ich ſagen, ich habe den Willen dazu.“ „Und ſchon der gilt, Frau Gräfin. Nur freilich iſt Demut nicht genug; ſie ſchafft nicht, ſie fördert nicht nach außen, ſie belebt kaum.“ „Und iſt doch mindeſtens der Anfang zum Beſſern, weil ſie mit dem Egoismus aufräumt. Wer die Staffel hinauf will, muß eben von unten an dienen. Und ſoviel bleibt, es birgt ſich in ihr die Löſung jeder Frage, die jetzt die Welt bewegt. Demütig ſein heißt chriſtlich ſein, chriſtlich in meinem, vielleicht darf ich ſagen in unſrem Sinne. Demut erſchrickt vor dem zweierlei Maß. Wer demütig iſt, der iſt duldſam, weil er weiß, wie ſehr er ſelbſt der Duldſamkeit bedarf; wer demütig iſt, der ſieht die Scheidewände fallen und erblickt den Menſchen im Menſchen.“ „Ich kann Ihnen zuſtimmen,“ lächelte Lorenzen. „Aber wenn ich, Frau Gräfin, in Ihren Mienen richtig leſe, ſo ſind dieſe Bekenntniſſe doch nur Einleitung zu was andrem. Sie halten noch das Eigentliche zurück und verbinden mit Ihrer Ausſprache, ſo ſonderbar es klingen mag, etwas Spezielles und beinah' Praktiſches.“ „Und ich freue mich, daß Sie das herausgefühlt haben. Es iſt ſo. Wir kommen da eben von Ihrem Stechlin her, von Ihrem See, dem Beſten, was ſie hier haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, als das Eis aufgeſchlagen werden ſollte, denn alles Eingreifen oder auch nur Einblicken in das, was ſich verbirgt, erſchreckt mich. Ich reſpektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes ſein. Alles Alte, ſo weit es Anſpruch darauf hat, ſollen wir lieben, aber für das Neue ſollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem ſollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/361>, abgerufen am 22.11.2024.