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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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frappierender, aber doch immerhin noch sehr gefälliger
Durchschnittsschönheit, dem bin ich drüben begegnet."

"Ich lass' es mit dieser Einschränkung gelten, und
Sie werden in Papa, mit dem wir oft darüber streiten,
einen Anwalt für ihre Meinung finden. Durchschnitts¬
vorzüge. Zugegeben. Aber was sich darin ausspricht,
das beinah' Unpersönliche, das Typische ..."

Melusine schrak in diesem Augenblick leise zusammen,
weil sie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte.
Wirklich, Jeserich trat ein und meldete: Professor Cujacius.
"Um Gottes willen," entfuhr es der Gräfin, und die kleine
Pause benutzend, die ihr noch blieb, flüsterte sie Wol¬
demar zu: "Cujacius ... Malerprofessor. Er wird über
Kunst sprechen; bitte, widersprechen Sie ihm nicht, er
gerät dabei so leicht in Feuer oder in mehr als das."
Und kaum, daß Melusine so weit gekommen war, erschien
auch schon Cujacius und schritt unter rascher Verbeugung
gegen Armgard auf die Gräfin zu, dieser die Hand zu
küssen. Sie hatte sich inzwischen gesammelt und stellte
vor: "Professor Cujacius, ... Rittmeister von Stechlin."
Beide verneigten sich gegeneinander, Woldemar ruhig,
Cujacius mit dem ihm eignen superioren Apostelausdruck,
der, wenn auch ungewollt, immer was Provozierendes
hatte. "Bin," so ließ er sich mit einer gewissen Konde¬
scenz vernehmen, "durch Gräfin Melusine ganz auf dem
Laufenden. Abordnung, England, Windsor. Ich habe
Sie beneidet, Herr Rittmeister. Eine so schöne Reise."

"Ja, das war sie, nur leider zu kurz, so daß ich
intimeren Dingen, beispielsweise der englischen Kunst,
nicht das richtige Maß von Aufmerksamkeit widmen konnte."

"Worüber Sie sich getrösten dürfen. Was ich per¬
sönlich an solcher Reise jedem beneiden möchte, das sind
ausschließlich die großen Gesamteindrücke, der Hof und
die Lords, die die Geschichte des Landes bedeuten."

"All das war auch mir die Hauptsache, mußt' es

frappierender, aber doch immerhin noch ſehr gefälliger
Durchſchnittsſchönheit, dem bin ich drüben begegnet.“

„Ich laſſ' es mit dieſer Einſchränkung gelten, und
Sie werden in Papa, mit dem wir oft darüber ſtreiten,
einen Anwalt für ihre Meinung finden. Durchſchnitts¬
vorzüge. Zugegeben. Aber was ſich darin ausſpricht,
das beinah' Unperſönliche, das Typiſche ...“

Meluſine ſchrak in dieſem Augenblick leiſe zuſammen,
weil ſie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte.
Wirklich, Jeſerich trat ein und meldete: Profeſſor Cujacius.
„Um Gottes willen,“ entfuhr es der Gräfin, und die kleine
Pauſe benutzend, die ihr noch blieb, flüſterte ſie Wol¬
demar zu: „Cujacius ... Malerprofeſſor. Er wird über
Kunſt ſprechen; bitte, widerſprechen Sie ihm nicht, er
gerät dabei ſo leicht in Feuer oder in mehr als das.“
Und kaum, daß Meluſine ſo weit gekommen war, erſchien
auch ſchon Cujacius und ſchritt unter raſcher Verbeugung
gegen Armgard auf die Gräfin zu, dieſer die Hand zu
küſſen. Sie hatte ſich inzwiſchen geſammelt und ſtellte
vor: „Profeſſor Cujacius, ... Rittmeiſter von Stechlin.“
Beide verneigten ſich gegeneinander, Woldemar ruhig,
Cujacius mit dem ihm eignen ſuperioren Apoſtelausdruck,
der, wenn auch ungewollt, immer was Provozierendes
hatte. „Bin,“ ſo ließ er ſich mit einer gewiſſen Konde¬
ſcenz vernehmen, „durch Gräfin Meluſine ganz auf dem
Laufenden. Abordnung, England, Windſor. Ich habe
Sie beneidet, Herr Rittmeiſter. Eine ſo ſchöne Reiſe.“

„Ja, das war ſie, nur leider zu kurz, ſo daß ich
intimeren Dingen, beiſpielsweiſe der engliſchen Kunſt,
nicht das richtige Maß von Aufmerkſamkeit widmen konnte.“

„Worüber Sie ſich getröſten dürfen. Was ich per¬
ſönlich an ſolcher Reiſe jedem beneiden möchte, das ſind
ausſchließlich die großen Geſamteindrücke, der Hof und
die Lords, die die Geſchichte des Landes bedeuten.“

„All das war auch mir die Hauptſache, mußt' es

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[311/0318] frappierender, aber doch immerhin noch ſehr gefälliger Durchſchnittsſchönheit, dem bin ich drüben begegnet.“ „Ich laſſ' es mit dieſer Einſchränkung gelten, und Sie werden in Papa, mit dem wir oft darüber ſtreiten, einen Anwalt für ihre Meinung finden. Durchſchnitts¬ vorzüge. Zugegeben. Aber was ſich darin ausſpricht, das beinah' Unperſönliche, das Typiſche ...“ Meluſine ſchrak in dieſem Augenblick leiſe zuſammen, weil ſie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte. Wirklich, Jeſerich trat ein und meldete: Profeſſor Cujacius. „Um Gottes willen,“ entfuhr es der Gräfin, und die kleine Pauſe benutzend, die ihr noch blieb, flüſterte ſie Wol¬ demar zu: „Cujacius ... Malerprofeſſor. Er wird über Kunſt ſprechen; bitte, widerſprechen Sie ihm nicht, er gerät dabei ſo leicht in Feuer oder in mehr als das.“ Und kaum, daß Meluſine ſo weit gekommen war, erſchien auch ſchon Cujacius und ſchritt unter raſcher Verbeugung gegen Armgard auf die Gräfin zu, dieſer die Hand zu küſſen. Sie hatte ſich inzwiſchen geſammelt und ſtellte vor: „Profeſſor Cujacius, ... Rittmeiſter von Stechlin.“ Beide verneigten ſich gegeneinander, Woldemar ruhig, Cujacius mit dem ihm eignen ſuperioren Apoſtelausdruck, der, wenn auch ungewollt, immer was Provozierendes hatte. „Bin,“ ſo ließ er ſich mit einer gewiſſen Konde¬ ſcenz vernehmen, „durch Gräfin Meluſine ganz auf dem Laufenden. Abordnung, England, Windſor. Ich habe Sie beneidet, Herr Rittmeiſter. Eine ſo ſchöne Reiſe.“ „Ja, das war ſie, nur leider zu kurz, ſo daß ich intimeren Dingen, beiſpielsweiſe der engliſchen Kunſt, nicht das richtige Maß von Aufmerkſamkeit widmen konnte.“ „Worüber Sie ſich getröſten dürfen. Was ich per¬ ſönlich an ſolcher Reiſe jedem beneiden möchte, das ſind ausſchließlich die großen Geſamteindrücke, der Hof und die Lords, die die Geſchichte des Landes bedeuten.“ „All das war auch mir die Hauptſache, mußt' es

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/318>, abgerufen am 24.11.2024.