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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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recht ist, Dr. Wrschowitz, wir stehen hier wie zwei Schild¬
halter neben diesem aufgeklappten Klavier, -- vielleicht
daß wir uns setzen könnten. Gräfin Melusine lugt ohne¬
hin schon nach uns aus." Und als Wrschowitz seine Zu¬
stimmung zu diesem Vorschlage Czakos ausgedrückt hatte,
schritten beide Herren vom Klavier her auf den Kamin
zu, vor dem sich die Gräfin auf einem Fauteuil nieder¬
gelassen hatte. Neben ihr stand ein Marmortischchen, drauf
sie den linken Arm stützte.

"Nun endlich, Herr von Czako. Vor allem aber
rücken Sie Stühle heran. Ich sah die beiden Herren in
einem anscheinend intimen Gespräche. Wenn es sich um
etwas handelte, dran ich teilnehmen darf, so gönnen Sie
mir diesen Vorzug. Papa hat sich, wie Sie sehn, mit der
Baronin engagiert, ich denke mir über berechtigte bajuvarische
Eigentümlichkeiten, und Armgard denkt über ihr Spiel
nach und all die falschen Griffe. Was müssen Sie gelitten
haben, Wrschowitz. Und nun noch einmal, Hauptmann
Czako, worüber plauderten Sie?"

"Berlin."

"Ein unerschöpfliches Thema für die Medisance."

"Worauf Dr. Wrschowitz zu meinem Staunen ver¬
zichtete. Denken Sie sich, gnädigste Gräfin, er schien alles
loben zu wollen. Allerdings waren wir erst bei Musik
und Kritik. Über die Menschen noch kein Wort."

"O, Wrschowitz, das müssen Sie nachholen. Ein
Fremder sieht mehr als ein Einheimischer. Also frei weg
und ohne Scheu. Wie sind die Vornehmen? Wie sind
die kleinen Leute?"

Wrschowitz wiegte den Kopf hin und her, als ob er
überlege, wie weit er in seiner Antwort gehen könne.
Dann mit einem Male schien er einen Entschluß gefaßt
zu haben und sagte: "Oberklasse gutt, Unterklasse serr gutt;
Mittelklasse nicht serr gutt."

recht iſt, Dr. Wrſchowitz, wir ſtehen hier wie zwei Schild¬
halter neben dieſem aufgeklappten Klavier, — vielleicht
daß wir uns ſetzen könnten. Gräfin Meluſine lugt ohne¬
hin ſchon nach uns aus.“ Und als Wrſchowitz ſeine Zu¬
ſtimmung zu dieſem Vorſchlage Czakos ausgedrückt hatte,
ſchritten beide Herren vom Klavier her auf den Kamin
zu, vor dem ſich die Gräfin auf einem Fauteuil nieder¬
gelaſſen hatte. Neben ihr ſtand ein Marmortiſchchen, drauf
ſie den linken Arm ſtützte.

„Nun endlich, Herr von Czako. Vor allem aber
rücken Sie Stühle heran. Ich ſah die beiden Herren in
einem anſcheinend intimen Geſpräche. Wenn es ſich um
etwas handelte, dran ich teilnehmen darf, ſo gönnen Sie
mir dieſen Vorzug. Papa hat ſich, wie Sie ſehn, mit der
Baronin engagiert, ich denke mir über berechtigte bajuvariſche
Eigentümlichkeiten, und Armgard denkt über ihr Spiel
nach und all die falſchen Griffe. Was müſſen Sie gelitten
haben, Wrſchowitz. Und nun noch einmal, Hauptmann
Czako, worüber plauderten Sie?“

„Berlin.“

„Ein unerſchöpfliches Thema für die Mediſance.“

„Worauf Dr. Wrſchowitz zu meinem Staunen ver¬
zichtete. Denken Sie ſich, gnädigſte Gräfin, er ſchien alles
loben zu wollen. Allerdings waren wir erſt bei Muſik
und Kritik. Über die Menſchen noch kein Wort.“

„O, Wrſchowitz, das müſſen Sie nachholen. Ein
Fremder ſieht mehr als ein Einheimiſcher. Alſo frei weg
und ohne Scheu. Wie ſind die Vornehmen? Wie ſind
die kleinen Leute?“

Wrſchowitz wiegte den Kopf hin und her, als ob er
überlege, wie weit er in ſeiner Antwort gehen könne.
Dann mit einem Male ſchien er einen Entſchluß gefaßt
zu haben und ſagte: „Oberklaſſe gutt, Unterklaſſe ſerr gutt;
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[303/0310] recht iſt, Dr. Wrſchowitz, wir ſtehen hier wie zwei Schild¬ halter neben dieſem aufgeklappten Klavier, — vielleicht daß wir uns ſetzen könnten. Gräfin Meluſine lugt ohne¬ hin ſchon nach uns aus.“ Und als Wrſchowitz ſeine Zu¬ ſtimmung zu dieſem Vorſchlage Czakos ausgedrückt hatte, ſchritten beide Herren vom Klavier her auf den Kamin zu, vor dem ſich die Gräfin auf einem Fauteuil nieder¬ gelaſſen hatte. Neben ihr ſtand ein Marmortiſchchen, drauf ſie den linken Arm ſtützte. „Nun endlich, Herr von Czako. Vor allem aber rücken Sie Stühle heran. Ich ſah die beiden Herren in einem anſcheinend intimen Geſpräche. Wenn es ſich um etwas handelte, dran ich teilnehmen darf, ſo gönnen Sie mir dieſen Vorzug. Papa hat ſich, wie Sie ſehn, mit der Baronin engagiert, ich denke mir über berechtigte bajuvariſche Eigentümlichkeiten, und Armgard denkt über ihr Spiel nach und all die falſchen Griffe. Was müſſen Sie gelitten haben, Wrſchowitz. Und nun noch einmal, Hauptmann Czako, worüber plauderten Sie?“ „Berlin.“ „Ein unerſchöpfliches Thema für die Mediſance.“ „Worauf Dr. Wrſchowitz zu meinem Staunen ver¬ zichtete. Denken Sie ſich, gnädigſte Gräfin, er ſchien alles loben zu wollen. Allerdings waren wir erſt bei Muſik und Kritik. Über die Menſchen noch kein Wort.“ „O, Wrſchowitz, das müſſen Sie nachholen. Ein Fremder ſieht mehr als ein Einheimiſcher. Alſo frei weg und ohne Scheu. Wie ſind die Vornehmen? Wie ſind die kleinen Leute?“ Wrſchowitz wiegte den Kopf hin und her, als ob er überlege, wie weit er in ſeiner Antwort gehen könne. Dann mit einem Male ſchien er einen Entſchluß gefaßt zu haben und ſagte: „Oberklaſſe gutt, Unterklaſſe ſerr gutt; Mittelklaſſe nicht ſerr gutt.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/310>, abgerufen am 23.11.2024.