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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Melusinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht.
Es kam wirklich Besuch, erst Wrschowitz, dann aber --
statt der drei, die sie noch nebenher gemutmaßt hatte --
nur Czako.

Der Empfang des einen wie des andern der beiden
Herren hatte vorn im Damenzimmer stattgefunden, ohne
Gegenwart des alten Grafen. Dieser erschien erst, als
man zum Thee ging; er hieß seine Gäste herzlich will¬
kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem,
was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬
für sorgte denn auch jeder auf seine Weise: die Baronin
durch Mitteilungen aus der oberen Gesellschaftssphäre,
Czako durch Avancements und Demissionen und Wrscho¬
witz durch "Krittikk". Alles, was zur Sprache kam, hatte
für den alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber
das Liebste waren ihm doch die Hofnachrichten, die die
Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum besten gab.
Wendungen wie "ich darf mich wohl Ihrer Diskretion
versichert halten" waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte
nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, son¬
dern diesen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬
geschichte, von der man in der Regel freilich sagen durfte,
daß sie desselben auch dringend bedürftig war.

"Sagen Sie, liebe Freundin," begann der alte Graf,
"was wird das jetzt so eigentlich mit den Briefen bei
Hofe?"

"Mit den Briefen? O, das wird immer schöner."

"Immer schöner?"

"Nun, immer schöner," lachte hier die Baronin, "ist
vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird
immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun
mal das, worauf es ankommt, will sagen den Charme.
Schon die beliebte Wendung "rätselhafte Frau" spricht
dafür; eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar
keine, womit ich mir persönlich freilich eine Art Todes¬

Meluſinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht.
Es kam wirklich Beſuch, erſt Wrſchowitz, dann aber —
ſtatt der drei, die ſie noch nebenher gemutmaßt hatte —
nur Czako.

Der Empfang des einen wie des andern der beiden
Herren hatte vorn im Damenzimmer ſtattgefunden, ohne
Gegenwart des alten Grafen. Dieſer erſchien erſt, als
man zum Thee ging; er hieß ſeine Gäſte herzlich will¬
kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem,
was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬
für ſorgte denn auch jeder auf ſeine Weiſe: die Baronin
durch Mitteilungen aus der oberen Geſellſchaftsſphäre,
Czako durch Avancements und Demiſſionen und Wrſcho¬
witz durch „Krittikk“. Alles, was zur Sprache kam, hatte
für den alten Grafen ſo ziemlich den gleichen Wert, aber
das Liebſte waren ihm doch die Hofnachrichten, die die
Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum beſten gab.
Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion
verſichert halten“ waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte
nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, ſon¬
dern dieſen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬
geſchichte, von der man in der Regel freilich ſagen durfte,
daß ſie deſſelben auch dringend bedürftig war.

„Sagen Sie, liebe Freundin,“ begann der alte Graf,
„was wird das jetzt ſo eigentlich mit den Briefen bei
Hofe?“

„Mit den Briefen? O, das wird immer ſchöner.“

„Immer ſchöner?“

„Nun, immer ſchöner,“ lachte hier die Baronin, „iſt
vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird
immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun
mal das, worauf es ankommt, will ſagen den Charme.
Schon die beliebte Wendung „rätſelhafte Frau“ ſpricht
dafür; eine Frau, die nicht rätſelhaft iſt, iſt eigentlich gar
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[299/0306] Meluſinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich Beſuch, erſt Wrſchowitz, dann aber — ſtatt der drei, die ſie noch nebenher gemutmaßt hatte — nur Czako. Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im Damenzimmer ſtattgefunden, ohne Gegenwart des alten Grafen. Dieſer erſchien erſt, als man zum Thee ging; er hieß ſeine Gäſte herzlich will¬ kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬ für ſorgte denn auch jeder auf ſeine Weiſe: die Baronin durch Mitteilungen aus der oberen Geſellſchaftsſphäre, Czako durch Avancements und Demiſſionen und Wrſcho¬ witz durch „Krittikk“. Alles, was zur Sprache kam, hatte für den alten Grafen ſo ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebſte waren ihm doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum beſten gab. Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion verſichert halten“ waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, ſon¬ dern dieſen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬ geſchichte, von der man in der Regel freilich ſagen durfte, daß ſie deſſelben auch dringend bedürftig war. „Sagen Sie, liebe Freundin,“ begann der alte Graf, „was wird das jetzt ſo eigentlich mit den Briefen bei Hofe?“ „Mit den Briefen? O, das wird immer ſchöner.“ „Immer ſchöner?“ „Nun, immer ſchöner,“ lachte hier die Baronin, „iſt vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will ſagen den Charme. Schon die beliebte Wendung „rätſelhafte Frau“ ſpricht dafür; eine Frau, die nicht rätſelhaft iſt, iſt eigentlich gar keine, womit ich mir perſönlich freilich eine Art Todes¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/306>, abgerufen am 23.11.2024.