Melusinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich Besuch, erst Wrschowitz, dann aber -- statt der drei, die sie noch nebenher gemutmaßt hatte -- nur Czako.
Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im Damenzimmer stattgefunden, ohne Gegenwart des alten Grafen. Dieser erschien erst, als man zum Thee ging; er hieß seine Gäste herzlich will¬ kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬ für sorgte denn auch jeder auf seine Weise: die Baronin durch Mitteilungen aus der oberen Gesellschaftssphäre, Czako durch Avancements und Demissionen und Wrscho¬ witz durch "Krittikk". Alles, was zur Sprache kam, hatte für den alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebste waren ihm doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum besten gab. Wendungen wie "ich darf mich wohl Ihrer Diskretion versichert halten" waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, son¬ dern diesen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬ geschichte, von der man in der Regel freilich sagen durfte, daß sie desselben auch dringend bedürftig war.
"Sagen Sie, liebe Freundin," begann der alte Graf, "was wird das jetzt so eigentlich mit den Briefen bei Hofe?"
"Mit den Briefen? O, das wird immer schöner."
"Immer schöner?"
"Nun, immer schöner," lachte hier die Baronin, "ist vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will sagen den Charme. Schon die beliebte Wendung "rätselhafte Frau" spricht dafür; eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine, womit ich mir persönlich freilich eine Art Todes¬
Meluſinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich Beſuch, erſt Wrſchowitz, dann aber — ſtatt der drei, die ſie noch nebenher gemutmaßt hatte — nur Czako.
Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im Damenzimmer ſtattgefunden, ohne Gegenwart des alten Grafen. Dieſer erſchien erſt, als man zum Thee ging; er hieß ſeine Gäſte herzlich will¬ kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬ für ſorgte denn auch jeder auf ſeine Weiſe: die Baronin durch Mitteilungen aus der oberen Geſellſchaftsſphäre, Czako durch Avancements und Demiſſionen und Wrſcho¬ witz durch „Krittikk“. Alles, was zur Sprache kam, hatte für den alten Grafen ſo ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebſte waren ihm doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum beſten gab. Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion verſichert halten“ waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, ſon¬ dern dieſen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬ geſchichte, von der man in der Regel freilich ſagen durfte, daß ſie deſſelben auch dringend bedürftig war.
„Sagen Sie, liebe Freundin,“ begann der alte Graf, „was wird das jetzt ſo eigentlich mit den Briefen bei Hofe?“
„Mit den Briefen? O, das wird immer ſchöner.“
„Immer ſchöner?“
„Nun, immer ſchöner,“ lachte hier die Baronin, „iſt vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will ſagen den Charme. Schon die beliebte Wendung „rätſelhafte Frau“ ſpricht dafür; eine Frau, die nicht rätſelhaft iſt, iſt eigentlich gar keine, womit ich mir perſönlich freilich eine Art Todes¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0306"n="299"/><p>Meluſinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht.<lb/>
Es kam wirklich Beſuch, erſt Wrſchowitz, dann aber —<lb/>ſtatt der drei, die ſie noch nebenher gemutmaßt hatte —<lb/>
nur Czako.</p><lb/><p>Der Empfang des einen wie des andern der beiden<lb/>
Herren hatte vorn im Damenzimmer ſtattgefunden, ohne<lb/>
Gegenwart des alten Grafen. Dieſer erſchien erſt, als<lb/>
man zum Thee ging; er hieß ſeine Gäſte herzlich will¬<lb/>
kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem,<lb/>
was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬<lb/>
für ſorgte denn auch jeder auf ſeine Weiſe: die Baronin<lb/>
durch Mitteilungen aus der oberen Geſellſchaftsſphäre,<lb/>
Czako durch Avancements und Demiſſionen und Wrſcho¬<lb/>
witz durch „Krittikk“. Alles, was zur Sprache kam, hatte<lb/>
für den alten Grafen ſo ziemlich den gleichen Wert, aber<lb/>
das Liebſte waren ihm doch die Hofnachrichten, die die<lb/>
Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum beſten gab.<lb/>
Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion<lb/>
verſichert halten“ waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte<lb/>
nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, ſon¬<lb/>
dern dieſen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬<lb/>
geſchichte, von der man in der Regel freilich ſagen durfte,<lb/>
daß ſie deſſelben auch dringend bedürftig war.</p><lb/><p>„Sagen Sie, liebe Freundin,“ begann der alte Graf,<lb/>„was wird das jetzt ſo eigentlich mit den Briefen bei<lb/>
Hofe?“</p><lb/><p>„Mit den Briefen? O, das wird immer ſchöner.“</p><lb/><p>„Immer ſchöner?“</p><lb/><p>„Nun, immer ſchöner,“ lachte hier die Baronin, „iſt<lb/>
vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird<lb/>
immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun<lb/>
mal das, worauf es ankommt, will ſagen den Charme.<lb/>
Schon die beliebte Wendung „rätſelhafte Frau“ſpricht<lb/>
dafür; eine Frau, die nicht rätſelhaft iſt, iſt eigentlich gar<lb/>
keine, womit ich mir perſönlich freilich eine Art Todes¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[299/0306]
Meluſinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht.
Es kam wirklich Beſuch, erſt Wrſchowitz, dann aber —
ſtatt der drei, die ſie noch nebenher gemutmaßt hatte —
nur Czako.
Der Empfang des einen wie des andern der beiden
Herren hatte vorn im Damenzimmer ſtattgefunden, ohne
Gegenwart des alten Grafen. Dieſer erſchien erſt, als
man zum Thee ging; er hieß ſeine Gäſte herzlich will¬
kommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem,
was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Da¬
für ſorgte denn auch jeder auf ſeine Weiſe: die Baronin
durch Mitteilungen aus der oberen Geſellſchaftsſphäre,
Czako durch Avancements und Demiſſionen und Wrſcho¬
witz durch „Krittikk“. Alles, was zur Sprache kam, hatte
für den alten Grafen ſo ziemlich den gleichen Wert, aber
das Liebſte waren ihm doch die Hofnachrichten, die die
Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum beſten gab.
Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion
verſichert halten“ waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte
nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, ſon¬
dern dieſen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezial¬
geſchichte, von der man in der Regel freilich ſagen durfte,
daß ſie deſſelben auch dringend bedürftig war.
„Sagen Sie, liebe Freundin,“ begann der alte Graf,
„was wird das jetzt ſo eigentlich mit den Briefen bei
Hofe?“
„Mit den Briefen? O, das wird immer ſchöner.“
„Immer ſchöner?“
„Nun, immer ſchöner,“ lachte hier die Baronin, „iſt
vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird
immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun
mal das, worauf es ankommt, will ſagen den Charme.
Schon die beliebte Wendung „rätſelhafte Frau“ ſpricht
dafür; eine Frau, die nicht rätſelhaft iſt, iſt eigentlich gar
keine, womit ich mir perſönlich freilich eine Art Todes¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/306>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.